Narkoseopioide

Der Einfachheit halber legen wir unsere Beiträge zu den Narkoseopioiden Fentanyl, Alfentanil, Sufentanil und Remifentanil übersichtlich für euch hier zusammen. Indikationen und Nebenwirkungen sind als ident anzusehen, spezielle Einzelheiten werden bei den einzelnen Substanzen erwähnt. Die wichtigsten Nebenwirkungen sind Atemdepression (Stimulation des Atemzentrums durch CO2 wird beeinträchtigt), Blutdruckabfall (Sympathikolyse), Übelkeit (PONV) & langfristig Obstipation mit paralytischem Ileus. In heutzutage klinisch üblichen Dosierungen ist die Thoraxrigidität (Muskelsteifigkeit, die zu beeinträchtigter Atmung führt) eher selten anzutreffen. Sie beruht vermutlich auf µ-vermitteltem Dopamin-Antagonismus mit Überhang an Acetylcholin (ähnlich Morbus Parkinson). Eine Histamin-Ausschüttung mit Blutdruckabfall und Bronchospasmus ist ebenfalls unüblich. Beachte, dass eine übermäßige Narkoseopioidwirkung (ausgenommen Remifentanil) am Ende einer OP (Apnoe, Koma) primär nicht durch Naloxon (siehe Ende des Beitrags), sondern durch Nalbuphin aufgehoben werden sollte, da es die Blockade des Atemzentrums reversiert, nicht aber die Analgesie.

Fentanyl

Fentanyl (Link) ist ein Opioid, das seine potente schmerzstillende Wirkung insbesondere über Bindung an µ-Rezeptoren entfaltet. Dies führt zu reduzierter Freisetzung von schmerzvermittelnden Botenstoffen sowie Stilllegung von Schmerzfasern. Verglichen zu Morphin ist die Analgesie 100-fach stärker, dh 0,1 mg Fentanyl erzeugt eine schmerzstillende Wirkung wie 10 mg Morphin.

Einsatzgebiete sind insbesondere Operationen, stärkste Schmerzen oder chronische starke Schmerzen (als transdermales Pflaster, z.B. bei malignem Brustkrebs). In der Intensivmedizin ist eine kontinuierliche i.v.-Gabe von Fentanyl nicht empfohlen, da es extrem zur Anhäufung (Kumulation) neigt (Konzept der kontextsensitiven Halbwertszeit). Hier hat sich insbesondere das sehr gut steuerbare Remifentanil bewährt, welches unabhängig von der Infusionsdauer bereits nach wenigen Minuten wieder abgebaut ist. Eine intravenöse Einzelgabe von Fentanyl hat eine Wirkdauer von 20-45 Minuten. Zur reinen Analgesie empfehlen sich 0,5-1,5 mcg/kg i.v., zur Narkoseeinleitung 1,5-3 mcg/kg. Die Anwendung von Fentanyl ist risikoreich und ein geschickter Umgang v.a. im höheren Dosisbereich erfordert sehr viel Erfahrung. Nachteilig ist die schlechte Steuerbarkeit und (relative) Unvorhersagbarkeit der Wirkdauer selbst nach Einmalgabe. Aus diesem Grunde ist Fentanyl in vielen Spitälern und präklinisch durch Sufentanil ersetzt worden. Ich verwende innerklinisch stattdessen Alfentanil und Remifentanil. Fentanyl nutze ich präklinisch als Notarzt und innerklinisch bei Sectio in Spinalanästhesie.

Alfentanil

Alfentanil ist ein Narkoseopioid, dessen Potenz ggü. Morphin unklar ist. In der Literatur werden meist Werte zwischen 10 bis 40 angegeben. Somit lässt sich feststellen, dass sein korrekter Umgang aufgrund der variablen Potenz viel klinische Erfahrung und „Ausprobieren“ erfordert. Die Wirkdauer eines Bolus beträgt ca. 10-15 Minuten, kann aber sehr hochdosiert (siehe Fachinfo) auch bis zu 1h betragen. Je nach Eingriffsdauer und Atemwegswahl (Intubation, Larynxmaske) verabreiche ich zwischen 10-30 mcg/kg (Spannweite 0,5-2 mg beim Erwachsenen, beim Kind je nach Gewicht) als Initialbolus. Auch eine Analgosedierung mit niedrigeren Initialboli ist möglich. Wir merken uns also mal: der Umgang mit Alfentanil ist nicht einfach, da seine genaue Potenz unklar ist.

Im Allgemeinen findet Alfentanil seine Anwendung bei Kurzeingriffen (< 20 Minuten) und hat hier Fentanyl abgelöst. Die kurze Wirkdauer wird nur noch von Remifentanil unterschritten, welches wiederum mein bevorzugtes Narkoseopioid darstellt. Neben der kürzeren Wirkdauer (und somit besseren Steuerbarkeit und größeren Patientensicherheit) hat Alfentanil ggü. Fentanyl den entscheidenden Vorteil, dass der Wirkbeginn sehr rasch eintritt und seinen maximalen Wirkeffekt (Peak) auch zügig innert 1-2 Minuten erreicht. Alfentanil eignet sich somit hervorragend für Schmerzspitzen und eine Notfallnarkose, da die Intubation regelhaft nach ca. 1 Minute durchgeführt wird und dieser Reiz effektiv unterdrückt wird. Fentanyl wiederum erreicht seinen Peak erst nach 3-5 Minuten, weshalb es pharmakologisch gesehen bei jeglicher Narkoseeinleitung in diesem Zeitraum vor Durchführung der Intubation verabreicht werden muss (siehe auch Striebel, Die Anästhesie, 2019). Da in meiner Klinik kein Sufentanil verfügbar ist nutze ich Alfentanil fast überall als Ersatz für Fentanyl (bei längeren OPs nutze ich Alfentanil zur Einleitung und führe die Narkose dann mit Remifentanil fort). Alfentanil scheint proepileptogen zu wirken (Link), weshalb eine isolierte Anwendung bei Patienten mit schwer beherrschbarer oder polypharmazeutisch behandelter Epilepsie zumindest kritisch zu hinterfragen ist.

Sufentanil

Sufentanil ist das potenteste und in meinen Augen neben Remifentanil beste Opioid in der Anästhesie. Es ist etwa 5-10 mal potenter als Fentanyl (und damit 500-1000 mal potenter als Morphin). Dabei entsprechend 100 µg Fentanyl etwa 10-15 µg Sufentanil. Typischerweise nimmt man 0,3 µg/kg Sufentanil als Einleitungsdosis, wobei in der Herzanästhesie weit höhere Dosen üblich sind. Bei Bedarf verabreicht man Boli von 5-10 µg. Sufentanil ist bei der Sectio als 1. Wahl ggü. Fentanyl gelistet (SPA oder EDK).

Großer Vorteil von Sufentanil ist der schnelle Wirkeintritt von etwa 2 Minuten und die relativ kurze Wirkdauer von nur 30 Minuten. Die Kumulationsgefahr ist deutlich geringer als bei Fentanyl, dies liegt an der hohen Proteinbindung (etwa 90%) – damit wird weniger Wirkstoff ins Fettgewebe verteilt und es kommt in viel geringerem Ausmaß zu einem „Rebound-Effekt“. Sufentanil wird überwiegend über die Leber verstoffwechselt, die dabei entstehenden Metaboliten wirken schwach oder gar nicht. Sufentanil wirkt deutlich stärker sedierend als andere Opioide, deswegen wird es auch zur Analgosedierung in der Intensivmedizin verwendet. Dieser Effekt bewirkt außerdem, dass viel geringere Dosen vom Hypnotikum benötigt werden (zur Hypnose u.U. nur mehr 1 mg/kg Propofol bei Einleitung nötig). Das Aufwachverhalten ist sehr angenehm für den Patienten und lässt sich mit Remifentanil vergleichen. Bei entsprechender Narkoseführung atmen die Patienten spontan, öffnen die Augen auf laute Ansprache und lassen sich dann direkt extubieren.

Remifentanil

Kein anderes Opioid vereint maximale Patientensicherheit und exzellente Steuerbarkeit so gut wie Remifentanil. Die kontextsensitive Halbwertszeit (Link) beträgt ca. 3 Minuten unabhängig von der Dauer der Gabe, der Abbau erfolgt durch unspezifische Esterasen im Blut. Dies macht Remifentanil besonders interessant bei langen Operationen, bei Patienten die zügig aufwachen müssen und bei Risikopatienten (z.B. morbide Adipositas, HNO-OPs), da ein postoperativer Überhang unüblich ist. Auch in der Geburtshilfe ist es etabliert. Die Organfunktion von neugeborenen Kindern ist noch unreif – doch gerade das ist für Remifentanil egal, da es organunabhängig durch unspezifische Esterasen abgebaut wird, die beim Neugeborenen genauso effektiv arbeiten wie beim Erwachsenen (Link). Ebenso wird es von der DGAI als Alternative bei Unmöglichkeit der epiduralen Analgesie zur schmerzarmen Geburt gelistet (Link). Die Schwangere appliziert sich dabei Remifentanil i.v. aus einem Perfusor nach Bedarf, notwendig ist jedoch eine kontinuierliche Überwachung. Unter den Hypnotika gibt es eine ähnliche Substanz: Remimazolam.

Indikationen sind Analgosedierung (z.B. fiberoptische Intubation, Intensivstation, CPAP / NIV) sowie die Einleitung (0,5-1 mcg/kg langsam i.v. oder via Perfusor, siehe Hersteller) und Aufrechterhaltung einer Narkose. Remifentanil bietet sich insbesondere bei sehr langen Operationen an; klassischerweise erfolgt die Narkoseeinleitung dann mit Fentanyl, Alfentanil oder Sufentanil, die Aufrechterhaltung ist dann mittels Remifentanil (0,1-0,5 mcg/kg/min i.v., je nach Schmerzintensität), wiewohl auch mittels Remifentanil eingeleitet werden kann. Die Potenz ist bis zu 200x stärker als Morphin, die Dosierung erfolgt anhand des Idealgewichts. Remifentanil ist weiters auch im Rahmen einer Notfallnarkose geeignet (Link, Link) und in der Tat auch bei der Einleitung von Patienten mit Präeklampsie empfohlen (Link, Link). Das rasche Anfluten mit Erreichen des Peakeffekts bereits innerhalb von weniger als 1 Minute, die potente Unterdrückung der hypertensiven Antwort auf die Laryngoskopie und auch die kurze Wirkdauer (ideal für das Neugeborene) begründen die Rationale. Es gibt Hinweise, dass die „raschere“ Injektion von Remifentanil bei RSI den Onset von Rocuronium verzögert. Dies ist jedoch nicht durch eine pharmakologische Interaktion zu begründen, sondern durch Reduktion des Herzzeitvolumens und somit langsamere Verteilung bedingt (hier). Aus diesem Grund verabreiche ich Remifentanil bei einer RSI erst nach Rocuronium und achte sowohl im Notfall als auch elektiven Bereich auf eine hämodynamisch neutrale Einleitung (Push-Dose-Pressor).

Aufgrund der ultrakurzen Wirkdauer ist auf jeden Fall auf eine potente Analgesie nach Beendigung der Remifentanil-Infusion zu achten. Klinisch bewährt hat sich hierzulande das Opioid Piritramid, welches ca. 15-30 Minuten vor Beendigung der Remifentanil-Gabe injiziert wird. Intraoperativ achte ich grundsätzlich auf eine potente multimodale Schmerztherapie (Regionalanästhesie, Nicht-Opioide, Esketamin). In der Tat konnte gezeigt werden, dass viele dieser Substanzen die Entwicklung einer Hyperalgesie durch Remifentanil unterdrücken (hier). Impliziert wird unter anderem eine Hochregulation von NMDA-Rezeptoren sowie Freisetzung von Prostaglandinen (siehe diese tolle Übersichtsarbeit bzw. hier, hier, hier). Auch für Dexmedetomidin gibt es bereits vielversprechende Daten.

Naloxon

Naloxon ist ein vollständiger Opioid-Rezeptorantagonist und findet seinen Einsatz insbesondere in der lebensrettenden Therapie von Opioid-Überdosierungen. Diese ist klassischerweise an Koma, Miosis und Atemdepression erkennbar, wiewohl im Präarrest aufgrund des Hypoxie-induzierten Catecholaminsturms eine Mydriasis auftreten kann (Oxygenierung mittels BMV hat oberste Priorität, erst dann die Gabe von Naloxon!). Die Wirkdauer von Naloxon beträgt 1-2h, das heißt es ist mit einem Rebound der Intoxikationssymptomatik zu rechnen, wenn das Opioid langsamer abgebaut wird und wieder zu den Rezeptoren diffundiert. Die Patienten sind daher einer Überwachung zuzuführen.

Folgendes Dosierungsschema hat sich beim Erwachsenen bewährt (Kind: 0,01 mg/kg i.v.):

  • Patient hypoventilierend: 0,04-0,08 mg i.v. bis zur suffizienten Spontanatmung
  • Patient apnoeisch, lebend: 0,2-1 mg i.v.
  • Reanimation: mindestens 2 mg i.v. (höhere ROSC-Rate durch Ankurblung des Kreislaufs und Reversierung toxischer Opioideffekte, Link, Link)
  • Opioid-naiver Patient (z.B. akzidenziell überdosiert auf der Station): 0,4 mg i.v.
  • intranasal oder intramuskulär: 0,4-0,8 mg
  • Maximaldosis: 10 mg (Differentialdiagnosen?)

Lediglich bei Opioid-naiven Patienten mit akzidentieller Überdosierung ist eine sofortige Aufhebung der Opioid-Nebenwirkungen mit Erlangen des vollen Bewusstseins gerechtfertigt. Bei Opioid-abhängigen Patienten ist besondere Vorsicht zu walten, da ein abruptes Aufheben der Intoxikation zu Entzug und ev. tobendem Patienten führen kann. In diesem Falle ist die Gabe von Propofol und α2-Agonisten (Dexmedetomidin) notwendig.

Buprenorphin ist ein sehr langwirksames Opioid, welches eine hohe Affinität zum μ-Rezeptor hat und nur durch hohe Dosen von Naloxon verdrängt werden kann. Dies scheint aber nicht unbedingt an Buprenorphin selbst zu liegen, sondern dass die Patienten häufig auch andere Medikamente ingestiert haben (z.B. Benzodiazepine, siehe Diazepam, Midazolam), siehe hier. Interessant ist auch, dass Naloxon Symptome einer Überdosis mit α2-Agonisten (Clonidin, Dexmedetomidin) bessern kann, da deren Einnahme eine Opioid-Überdosis imitieren kann (Atemdepression, Koma, Miosis). Die Routinegabe von Naloxon ist umstritten und wird hinterfragt.

Cheers.


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