Rapid Sequence Induction

Die sogenannte „Blitzeinleitung“ beschäftigt uns in der AINS ziemlich oft. Einerseits natürlich bei echten Notfallpatienten in verschiedenen Bereichen innerhalb und außerhalb der Klinik. Auf der anderen Seite – und das viel öfter – auch bei elektiven Patienten im OP bei zahlreichen Indikationen.

Ziel der RSI ist es ganz grundsätzlich, bei bestehendem Aspirationsrisiko den Atemweg so schnell wie möglich nach Wirkeintritt des Muskelrelaxans definitiv zu sichern. Das bedeutet, einen gecufften Tubus in der Trachea liegen zu haben. Bei einer „normalen“ Narkoseeinleitung spritzen wir unsere Pharmaka gemütlich (Analgetikum-Hypnotikum-Relaxans) und überprüfen vor der Intubation, ob sich der Patient gut bebeuteln lässt. Bei der eigentlichen RSI (s.u.) ist das anders – auf Zwischenbeatmungen wird verzichtet. Heutzutage existieren Modifikationen, zB sind Zwischenbeatmungen mit niedrigem Beatmungsdruck bei hypoxiegefährdeten Patienten (zB Kinder, Schwangere) im Sinne einer modifizierten RSI empfohlen (Weiss 2007, Delgado 2020). Auch die Delayed Sequence Induction ist ein Thema (Weingart 2015), bei der fraktioniert Esketamin verabreicht wird, um durch Dissoziation, aber erhaltener Spontanatmung des Patienten, die Präoxygenierung zu ermöglichen.

Erstmals publiziert hat die RSI übrigens der österreichische Anästhesist und Intensivmediziner Dr. Peter Safar 1970.

Indikationen

Grundsätzlich und ganz allgemein gesagt immer dort, wo wir beim Einleiten mit einem erhöhten Aspirationsrisiko rechnen müssen. Die Indikationen werden immer wieder abweichend angegeben, nachfolgend geben wir die Meinung des deutschsprachigen Standardlehrbuch – Striebel – „Die Anästhesie“ (4. Auflage, 2019) wieder:

  • alle Notfallpatienten
  • Ileus
  • Schwangere Patienten ab Woche 12-20
  • Peritonitis
  • Blutungen im HNO Bereich bei denen Blut verschluckt wird und Magenblutungen
  • Patienten mit hoher Nüchternsekretion
  • Patienten mit Magenausgangsstenose, Ösophagusdivertikel, Pylorusstenose, Hiatushernie oder akutem Abdomen
  • Patienten nach Trauma

Insgesamt ist diese Aufzählung nur beispielhaft, denn die Beurteilung muss immer individuell im Einzelfall erfolgen. Prof. Striebel führt weitere Faktoren an, bei denen trotz scheinbarer Nüchternheit von einem erhöhten Aspirationsrisiko ausgegangen werden muss, dies sind beispielsweise extremes Lebensalter, neurologische Erkrankungen oder deutliches Übergewicht. Es geht also um das erhöhte Aspirationsrisiko.

Vorarbeit

Wenn es ans Intubieren geht wollen wir schnell, aber trotzdem sorgsam sein. Es ist essentiell, sich ausreichend Zeit für die Vorbereitung zu nehmen. Konkret müssen wir uns um adäquate Indikationsstellung, Medikamente, Backup-Pläne (zB Larynxmaske), optimale Lagerung und Präoxygenierung kümmern.

Vorbereitung

Es braucht einen Plan A (Tubus), Plan B (BMV, Larynxmaske) und Plan C (Coniotomie). Es gibt sehr gute Daten für die primäre Verwendung von Videolaryngoskopen. Der Tubus muss schnell in den Patienten, daher nehme ich unabhängig von meinen Skills das Werkzeug, das mir den schnellsten Erfolg bzw. den höchsten First-Pass Success bringt.

Lagerung

Optimal ist eine Schnüffel-Position, bei den sehr übergewichtigen Patienten die Ramp-Position. Die Lagerung am Tisch ist bei sehr geringer Evidenz Gegenstand von Kontroversen: Oberkörper hoch? Tief? Flach? Es geht darum, möglichst schnell zu intubieren – Oberkörper tief ist punkto Aspiration logischerweise sinnvoll (Mageninhalt rinnt vorbei), aber ich persönlich würde mir so sicher schwer tun. Eine tolle Website mit Lagerungen inkl. Ramp-Position findet ihr hier.

Präoxygenierung

Die Grundregel ist, so schnell und so viel Sauerstoff wie möglich in die Alveolen des Patienten zu bekommen. Eine adäquate Präoxygenierung (per definitionem FeO2 > 90%) ist lebensrettend und unverzichtbar, insbesondere wenn die Intubation nicht auf den ersten Anhieb gelingt. Zum Präoxygenieren nimmt man die bestmöglich verfügbare Methode, zum Beispiel im OP die Beatmungsmaske dicht sitzend mit einem CPAP von 5-10 cm H2O. Alternativen sind zB eine konventionelle CPAP-Maske, eine Reservoirmaske mit 15l/min (für bis zu 100% O2) oder andere Varianten wie High-Flow Oxygen Nasal Cannula (HFONC). Weiters empfohlen hat sich die apnoeische Oxygenierung.

Einleitung

Die Wahl der Medikamente ist nicht grundsätzlich anders als bei einer elektiven Narkoseeinleitung.

Opioide

Opioide sind regelhaft Teil einer RSI. Sie sind auch notwendig, um die sympathischen Reize und Atemwegsreflexe durch die Laryngoskopie abzuschirmen. Fentanyl braucht etwa 3 Minuten bis zum Eintritt der maximalen Wirkung und ist daher pharmakologisch gesehen für eine RSI nicht wirklich geeignet. Theoretisch müsste man Fentanyl daher zumindest 2 Minuten vor der eigentlichen Narkoseeinleitung applizieren, dies birgt aber die Gefahr von Übelkeit oder Atemdepression. Alternativ bieten sich Sufentanil, Alfentanil oder Remifentanil an, welche ihre Peakwirkung bereits innerhalb 1 Minute erzielen.

In der klassischen RSI-Einleitung (Thiopental und Succinylcholin) wird auf ein Opioid verzichtet, im europäischen Raum wird aber oft ein Opioid hinzugefügt. Bei einer Sectio mit Narkoseeinleitung verzichten wir auch auf ein Opioid, da dieses die Placenta passiert und postnatal eine Atemdepression des Neugeborenen bedingen kann. Jedoch gilt zu sagen, dass Remifentanil für eine Sectio-RSI äußerst gut geeignet ist und insbesondere bei Patientinnen mit Präeklampsie empfohlen wird, um den Blutdruckanstieg auf die Laryngoskopie zu unterbinden (Heesen 2013, White 2019).

Hypnotika

Hier behandle ich explizit das innerklinische Setting. Mit der Handlungsempfehlung zur prähospitalen Notfallnarkose gäbe es für Notärzte sehr gute und eindeutige Empfehlungen, die für die meisten Patienten auf Esketamin und Midazolam hinauslaufen. Simpel. Innerklinisch haben wir deutlich mehr Möglichkeiten für die Hämodynamik (beispielsweise einen Noradrenalin-Perfusor „mitlaufen“ lassen bei der Einleitung). Daher können wir das Vorgehen breiter differenzieren:

In der Anästhesie wird sehr oft Propofol verwendet. Der Wirkstoff ist bekannt, wir können gut damit umgehen und der schnelle Wirkeintritt von etwa 30-45 Sekunden spricht für sich. Außerdem werden Atemwegsreflexe gut gedämpft. Der Nachteil von Propofol ist, dass es hämodynamisch wirksamer ist als andere Substanzen. Bei entsprechend gefährdeten Patienten, etwa aufgrund von Hypovolämie oder kardialen Vorerkrankungen, spielt dies eine besonders große Rolle und entsprechend wäre die Einleitungsdosis zu reduzieren. Alternativ kann man auch mit präventiven Vasopressoren arbeiten. Propofol hat Thiopental de facto abgelöst.

Etomidat ist eine inzwischen selten benutzte Alternative, wird aber beispielsweise in der oben genannten Empfehlung für die prähospitale Notfallnarkose empfohlen. Der Wirkeintritt erfolgt ebenfalls sehr schnell, der wesentliche Vorteil zu Propofol ist, dass Etomidat weit weniger kreislaufdepressiv wirkt. Die Substanz ist in Verruf geraten, nachdem eine Unterdrückung der Nebennierenfunktion als Nebenwirkung publiziert wurde. Inzwischen gibt es aber gute Daten, dass diese Nebenwirkung bei der Verabreichung einer einmaligen Dosis zur Narkoseeinleitung nicht relevant ist.

Esketamin ist eine gute Substanz für die allermeisten Patienten. Es gilt ebenfalls als absolut kreislaufstabil oder sogar blutdrucksteigernd, dies trifft jedoch nicht auf alle Patienten zu. Bei Patienten im prolongierten Schock sind die Katecholaminspeicher leer und es entfaltet sich der direkt kardiodepressive Effekt von Esketamin (Calcium-Antagonismus), der eigentlich durch Hemmung der Wiederaufnahme von Katecholaminen maskiert wird. Nachdem diese Patienten aber nicht die Regel sind, gilt in der Mehrheit der Fälle, dass Esketamin für die meisten Patienten die hämodynamisch stabilste Substanz ist. Im angloamerikanischen Raum wird Ketamin für die RSI sehr prominent empfohlen.

Midazolam wird innerklinisch oft in einer Kombination mit weiteren Subtanzen, etwa Propofol oder Esketamin verwendet. Es ist relativ kreislaufstabil, außerdem kann man durch den synergistisch hypnotisch Effekt beispielsweise die Propofol-Dosis deutlich reduzieren. Dabei gilt jedoch zu beachten, dass es insbesondere in Kombination mit Opioiden zu einer deutlichen Atemdepression und dem Verlust von Schutzreflexen kommen kann. Außerdem sind paradoxe Wirkungen nicht selten, die kognitive Funktion ist postoperativ stärker eingeschränkt als bei anderen Substanzen. In Zusammenschau und bei besseren Alternativen ist Midazolam daher keine Substanz, die man heute noch regelhaft für die Narkoseeinleitung verwenden sollte. In der Notfallsituation hat es allerdings noch einen festen Platz im Repertoire vieler Anästhesisten.

Relaxantien

Hier haben wir die Wahl zwischen Rocuronium als relevantem Vertreter der nicht-depolarisierenden Relaxantien und Succinylcholin / Suxamethonium als depolarisierendes Relaxans. Roc vs. Sux ist ein munter ausgefochtener Kampf, mit Verweis auf das letzte Cochrane Review aus dem Jahr 2015 muss man eingestehen, dass Succinylcholin aufgrund eines geringfügig schnelleren Wirkeintritts (laut Literatur nach 30 Sekunden) gewinnt. In der Praxis wird hierzulande bevorzugt Rocuronium (1-1,2 mg/kg Idealgewicht) verwendet, ich beginne die Öffnung des Mundes üblicherweise nach 45 Sekunden. Die Dosis von Succinylcholin ist 1-1,5 mg/kg Totalgewicht.

Side Note: Die RSI ohne Relaxans ist übrigens auch beschrieben. Nämlich wenn man Propofol und Remifentanil verwendet. Eine normale Einleitungsdosis von Propofol mit einer sehr hohen Dosis Remifentanil. Die Studien dazu sind sind älter und diese Variante ist sicherlich alles andere als „Standard of Care“. Daher nur die Erwähnung, dass es sowas gibt, sollte man einmal unbedingt auf ein Relaxans verzichten wollen (müssen?). Empfohlen ist es jedoch keinesfalls, da Relaxantien das Atemwegsmanagement immer verbessern.

Und dann?

Wir verabreichen unsere Einleitungsmedikamente, warten etwa 30-60 Sekunden (je nach Relaxans) ab und intubieren den Patienten. Danach ist es eigentlich eine „normale“ Narkose. Besonders achten muss man auf die Hämodynamik, bei vielen Patienten wird das eine wesentliche Baustelle sein. Vielleicht ist es aber auch wirklich ein Elektiveingriff bei einem sonst gesunden Patienten mit einer Hiatushernie und wir müssen uns wenig Sorgen machen. Aufpassen muss man beim Extubieren, denn auch dabei besteht natürlich ein Aspirationsrisiko. Daher empfiehlt sich am Ende einer OP jedenfalls eine PONV-Prophylaxe sowie das Absaugen von Mageninhalt über eine Magensonde. Die Extubation sollten wir möglichst sicher gestalten, Re-Intubieren oder Maskenbeatmen wollen wir definitiv nicht. Auf eine adäquate Spontanatmung mit ausreichenden Schutzreflexen ist zu achten. Die Relaxometrie zum Ausschluss einer Restrelaxierung hat daher einen besonders hohen Stellenwert! Und generell gilt: Keine Experimente bei solchen Patienten! Frühzeitig (auch bei Unsicherheit) Unterstützung holen. Wenn man erstmal begonnen hat muss es schnell gehen – in der Regel haben wir Einfluss auf den Beginn unserer Einleitung. Erst dann Hilfe zu holen wird meist zu spät sein!

Cheers.


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