Oh boy, ein Post über Esketamin. Irgendwie habe ich mich davor gefürchtet, weil einfach so unglaublich viel darüber zu schreiben ist und unfassbar viele Publikationen (primär über Ketamin, die Datenlage ist im Wesentlichen auf Esketamin übertragbar) existieren. Ich werde versuchen, mich kurz und bündig zu halten, damit ihr eine gute Übersicht erhält. Bitte verzeiht mir, wenn ich nicht alles abhandeln kann. 🙂
Esketamin ist ein dissoziatives Anästhetikum, das heißt die Interaktion zwischen Cortex, Thalamus und limbischem System wird unterbunden. Dadurch wirkt der Patient wach (Blick ins Leere) mit erhaltenen Schutzreflexen (Schlucken, Husten, Würgen) und aufrechter Spontanatmung. Mitunter ist ein Nystagmus sichtbar. Es ist ein Mythos, dass die Spontanatmung stets erhalten bleibt – die intravenöse Gabe muss auch bei kleinen Mengen langsam erfolgen (Link, Link). Der korrekte Umgang in den verschiedenen Dosisbereichen (Analgesie 0,1-0,25 mg/kg i.v., Analgosedierung 0,5 mg/kg i.v., Narkose 1-2 mg/kg i.v., Narkoseerhalt: 0,2-1,5 mg/kg/h i.v.) erfordert viel Erfahrung am Patienten und die additive O2-Gabe ist wichtig. Die hypnotische Wirkdauer beträgt ca 15 Minuten, analgetische Effekte können mehrere Stunden beobachtet werden (Link). Generell bin ich großzügig mit Esketamin und habe bis jetzt keine negativen Erfahrungen gemacht. Ein toller Vorteil ist, dass eine intranasale oder intramuskuläre Gabe möglich ist, was im notfallmedizinischen und neuerdings auch psychiatrischen Bereich bedeutend ist.
Chemisch gesehen handelt es sich um das S-Enantiomer des Racemats Ketamin und ist verglichen zu diesem doppelt so potent mit weniger psychomimetischen Nebenwirkungen. Das Wirkmuster ist hochkomplex:
- Förderung der Freisetzung von Catecholaminen, Hemmung der Wiederaufnahme von Catecholaminen (vorteilhaft bei kreislauflabilen Patienten)
- Agonismus: Opioid, GABA
- Antagonismus: NMDA, K, Na, Ca, Acetylcholin
Dadurch ergeben sich zahlreiche Indikationen für diese Substanz und das ist auch der Grund, wieso Esketamin zu meinen Lieblingsmedikamenten zählt:
- Schmerztherapie, sei es traumatisch, visceral, perioperativ, auf der Intensivstation, präklinisch, chronisch oder anderwertig (Link, Link, Link, Link, Link, Link, Link, Link)
- Analgosedierung im Rahmen von Prozeduren wie Thoraxdrainage, Verbandswechsel auf der Intensivstation, kleinere chirurgische Eingriffe etc (Link, Link, Link)
- Narkoseeinleitung hämodynamisch instabiler Patienten (Link, Link), wiewohl Esketamin aufgrund des Calcium-Antagonismus (direkt cardiodepressive Wirkung durch negative Inotropie, Link) bei Patienten mit leeren Catecholaminspeichern (zB prolongierter Schock) zu drastischem Blutdruckabfall führen kann (Link, Link, Link, Link, Link, Link)
- Narkoseeinleitung und -erhalt bei schwerem Bronchospasmus, zB im Rahmen von COPD oder Asthma (Link, Link)
- superrefraktärer Status Epilepticus (Link, Link, Link)
- therapierefraktäre Depression (FDA)
- gewalttätige oder agitierte Patienten (Link, Link)
Relevante Nebenwirkungen sind neben den bereits erwähnten:
- Anstieg des Hirndrucks primär bei Atemdepression (Esketamin kann problemlos zur Narkoseeinleitung bei erhöhtem Hirndruck angewendet werden und es gibt Hinweise, dass es den Hirndruck senkt; Link, Link, Link, Link, Link)
- Neuroprotektion (Link)
- Halluzinationen bzw. Emergence Delirium (daher häufig Kombination mit Midazolam, wiewohl der protektive Effekt von Midazolam zumindest bei Kindern in Frage gestellt wird, siehe auch hier und hier)
- Übelkeit (Ondansetron), siehe unseren Post zu Ondansetron
- Delir ist umstritten (Link, Link)
- Hypersalivation (dosisabhängig, kann Laryngospasmus bedingen oder zu Sichtbehinderung bei Intubation führen; zwar empfiehlt der Hersteller die Vorgabe eines Anticholinergikums, die Inzidenz an unerwünschten Atemwegskomplikationen konnte aber nicht gesenkt werden; siehe hier)
- Esketamin hat eine sehr große therapeutische Breite, laut Hersteller ist ab einer 25-fachen Überdosierung mit Intoxikationssymptomen zu rechnen
Zusammenfassend ist Esketamin ein unentbehrliches Medikament in der Anästhesie, Intensiv- und Notfallmedizin. Vorteilhaft sind zahlreiche Indikationen, der intranasale, intravenöse und intramuskuläre Applikationsweg, grundsätzlich erhaltene Spontanatmung, Kreislaufstimulation und Amnesie. Persönlich verabreiche ich fast jedem Patienten, den ich narkotisiere, analgetische Dosen von Esketamin. Ich verzichte bei Patienten > 65J auf eine Comedikation mit Midazolam im Rahmen einer Analgosedierung (z.B. ZVK-Anlage oder Pleurapunktion auf der Intensivstation), da Benzodiazepine bei dieser Patientengruppe mit kognitiver Dysfunktion, Delir und paradoxer Rekation vergesellschaftet sind. Eine Alternative könnte die Kombination mit Propofol (Ketofol) sein, diesbezüglich wird es einen Beitrag geben. Mit Fentanyl und Rocuronium bildet Esketamin meine heilige Dreifaltigkeit bei der Einleitung von kritisch Kranken oder Patienten > 70 Jahren. Als relative Kontraindikation (Link) sehe ich aufgrund der Steigerung des myocardialen O2-Bedarfs sowie der Tachycardie jedenfalls klinisch relevante Herzerkrankungen (zB ischämische Cardiomyopathie, symptomatische KHK) an, hier ersetze ich Esketamin durch das kreislaufneutrale Etomidat.
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