Die sogenannte „Blitzeinleitung“ beschäftigt uns in der AINS ziemlich oft. Einerseits natürlich bei echten Notfallpatienten in verschiedenen Bereichen innerhalb und außerhalb der Klinik. Auf der anderen Seite – und das viel öfter – auch bei elektiven Patienten im OP bei zahlreichen Indikationen.
Ziel der RSI ist es ganz grundsätzlich, bei bestehendem Aspirationsrisiko den Atemweg so schnell wie möglich nach Wirkeintritt des Muskelrelaxans definitiv zu sichern. Das bedeutet, einen gecufften Tubus in der Trachea liegen zu haben. Bei einer „normalen“ Narkoseeinleitung (Link) spritzen wir unsere Pharmaka gemütlich (Analgetikum-Hypnotikum-Relaxans) und überprüfen vor der Intubation, ob sich der Patient gut bebeuteln lässt. Bei der eigentlichen RSI (s.u.) ist das anders – auf Zwischenbeatmungen wird verzichtet. Heutzutage existieren Modifikationen, zB sind Zwischenbeatmungen mit niedrigem Beatmungsdruck bei hypoxiegefährdeten Patienten (zB Kinder, Schwangere) im Sinne einer modifizierten RSI empfohlen. Auch die Delayed Sequence Induction ist ein Thema (Weingart 2015), bei der fraktioniert Esketamin verabreicht wird, um durch Dissoziation – aber erhaltener Spontanatmung des Patienten – die Präoxygenierung zu ermöglichen.
Erstmals publiziert hat die RSI übrigens der österreichische Anästhesist und Intensivmediziner Dr. Peter Safar 1970.

Indikationen
Grundsätzlich und ganz allgemein gesagt immer dort, wo wir beim Einleiten mit einem erhöhten Aspirationsrisiko rechnen müssen. Die Indikationen werden immer wieder abweichend angegeben, nachfolgend geben wir die Meinung des deutschsprachigen Standardlehrbuch – Striebel – „Die Anästhesie“ (4. Auflage, 2019) wieder:
- alle Notfallpatienten
- Ileus
- Schwangere Patienten ab Woche 12-20
- Peritonitis
- Blutungen im HNO Bereich bei denen Blut verschluckt wird und Magenblutungen
- Patienten mit hoher Nüchternsekretion
- Patienten mit Magenausgangsstenose, Ösophagusdivertikel, Pylorusstenose, Hiatushernie oder akutem Abdomen
- Patienten nach Trauma
Insgesamt ist diese Aufzählung nur beispielhaft, denn die Beurteilung muss immer individuell im Einzelfall erfolgen. Prof. Striebel führt weitere Faktoren an, bei denen trotz scheinbarer Nüchternheit von einem erhöhten Aspirationsrisiko ausgegangen werden muss, dies sind beispielsweise extremes Lebensalter, neurologische Erkrankungen oder deutliches Übergewicht. Es geht also um das erhöhte Aspirationsrisiko.
Vorarbeit
Wenn es ans Intubieren geht wollen wir schnell, aber trotzdem sorgsam sein. Es ist essentiell, sich ausreichend Zeit für die Vorbereitung zu nehmen. Konkret müssen wir uns um adäquate Indikationsstellung, Medikamente, Backup-Pläne (zB Larynxmaske), optimale Lagerung und Präoxygenierung kümmern.
Es braucht einen Plan A (Tubus), Plan B (BMV, Larynxmaske) und Plan C (Coniotomie). Das Videolaryngoskop hat sich mittlerweile als 1. Wahl etabliert. Das Ziel ist immer, dass der erste Intubationsversuch der Beste wird.
Lagerung
Optimal ist eine Schnüffel-Position, bei den sehr übergewichtigen Patienten die Ramp-Position. Die Lagerung am Tisch ist bei sehr geringer Evidenz Gegenstand von Kontroversen: Oberkörper hoch? Tief? Flach? Es geht darum, möglichst schnell zu intubieren – Oberkörper tief ist punkto Aspiration logischerweise sinnvoll (Mageninhalt rinnt vorbei), aber ich persönlich würde mir so sicher schwer tun. Eine tolle Website mit Lagerungen inkl. Ramp-Position findet ihr hier.
Präoxygenierung und Einleitung
Die Grundregel ist, so schnell und so viel Sauerstoff wie möglich in die Alveolen des Patienten zu bekommen. Eine adäquate Präoxygenierung (per definitionem FeO2 > 90%) ist lebensrettend und unverzichtbar, insbesondere wenn die Intubation nicht auf den ersten Anhieb gelingt. Zum Präoxygenieren nimmt man die bestmöglich verfügbare Methode, zum Beispiel im OP die Beatmungsmaske dicht sitzend mit einem CPAP von 5-10 cm H2O. Alternativen sind zB eine konventionelle CPAP-Maske, eine Reservoirmaske mit 15l/min (für bis zu 100% O2) oder andere Varianten wie High-Flow Oxygen Nasal Cannula (HFONC). Weiters empfohlen hat sich die apnoeische Oxygenierung.

Opioide
Opioide sind regelhaft Teil einer RSI. Sie sind auch notwendig, um die sympathischen Reize und Atemwegsreflexe durch die Laryngoskopie abzuschirmen. Fentanyl braucht etwa 3 Minuten bis zum Eintritt der maximalen Wirkung und ist daher pharmakologisch gesehen für eine RSI nicht wirklich geeignet. Theoretisch müsste man Fentanyl daher zumindest 2 Minuten vor der eigentlichen Narkoseeinleitung applizieren, dies birgt aber die Gefahr von Übelkeit oder Atemdepression. Alternativ bieten sich Sufentanil, Alfentanil oder Remifentanil an, welche ihre Peakwirkung bereits innerhalb 1-2 Minuten erzielen.
In der klassischen RSI-Einleitung (Thiopental und Succinylcholin) wird auf ein Opioid verzichtet, im europäischen Raum wird aber oft ein Opioid hinzugefügt. Bei einer Sectio mit Narkoseeinleitung verzichten wir auch auf ein Opioid, da dieses die Placenta passiert und postnatal eine Atemdepression des Neugeborenen bedingen kann. Jedoch gilt zu sagen, dass Remifentanil für eine Sectio-RSI äußerst gut geeignet ist und insbesondere bei Patientinnen mit Präeklampsie empfohlen wird, um den Blutdruckanstieg auf die Laryngoskopie zu unterbinden. Mehr dazu hier.
Hypnotika
Hier behandle ich explizit das innerklinische Setting. Mit der Handlungsempfehlung zur prähospitalen Notfallnarkose gäbe es für Notärzte sehr gute und eindeutige Empfehlungen, die für die meisten Patienten auf Esketamin und Midazolam hinauslaufen. Simpel. Innerklinisch haben wir deutlich mehr Möglichkeiten für die Hämodynamik (beispielsweise einen Noradrenalin-Perfusor „mitlaufen“ lassen bei der Einleitung). Daher können wir das Vorgehen breiter differenzieren:
In der Anästhesie wird sehr oft Propofol verwendet. Der Wirkstoff ist bekannt, wir können gut damit umgehen und der schnelle Wirkeintritt von etwa 30-45 Sekunden spricht für sich. Außerdem werden Atemwegsreflexe gut gedämpft. Der Nachteil von Propofol ist, dass es hämodynamisch wirksamer ist als andere Substanzen. Bei entsprechend gefährdeten Patienten, etwa aufgrund von Hypovolämie oder kardialen Vorerkrankungen, spielt dies eine besonders große Rolle und entsprechend wäre die Einleitungsdosis zu reduzieren. Alternativ kann man auch mit präventiven Vasopressoren arbeiten. Propofol hat Thiopental de facto abgelöst.
Etomidat ist eine inzwischen selten benutzte Alternative, wird aber beispielsweise in der oben genannten Empfehlung für die prähospitale Notfallnarkose empfohlen. Der Wirkeintritt erfolgt ebenfalls sehr schnell, der wesentliche Vorteil zu Propofol ist, dass Etomidat weit weniger kreislaufdepressiv wirkt. Die Substanz ist in Verruf geraten, nachdem eine Unterdrückung der Nebennierenfunktion als Nebenwirkung publiziert wurde. Inzwischen gibt es aber gute Daten, dass diese Nebenwirkung bei der Verabreichung einer einmaligen Dosis zur Narkoseeinleitung nicht relevant ist.
Esketamin ist eine gute Substanz für die allermeisten Patienten. Es gilt ebenfalls als absolut kreislaufstabil oder sogar blutdrucksteigernd, dies trifft jedoch nicht auf alle Patienten zu. Bei Patienten im prolongierten Schock sind die Katecholaminspeicher leer und es entfaltet sich der direkt kardiodepressive Effekt von Esketamin (Calcium-Antagonismus), der eigentlich durch Hemmung der Wiederaufnahme von Katecholaminen maskiert wird. Nachdem diese Patienten aber nicht die Regel sind, gilt in der Mehrheit der Fälle, dass Esketamin für die meisten Patienten die hämodynamisch stabilste Substanz ist. Im angloamerikanischen Raum wird Ketamin für die RSI sehr prominent empfohlen.
Midazolam wird innerklinisch oft in einer Kombination mit weiteren Subtanzen, etwa Propofol oder Esketamin verwendet. Es ist relativ kreislaufstabil, außerdem kann man durch den synergistisch hypnotisch Effekt beispielsweise die Propofol-Dosis deutlich reduzieren. Dabei gilt jedoch zu beachten, dass es insbesondere in Kombination mit Opioiden zu einer deutlichen Atemdepression und dem Verlust von Schutzreflexen kommen kann. Außerdem sind paradoxe Wirkungen nicht selten, die kognitive Funktion ist postoperativ stärker eingeschränkt als bei anderen Substanzen. In Zusammenschau und bei besseren Alternativen ist Midazolam daher keine Substanz, die man heute noch regelhaft für die Narkoseeinleitung verwenden sollte. In der Notfallsituation hat es allerdings noch einen festen Platz im Repertoire vieler Anästhesisten.
Relaxantien
Hier haben wir die Wahl zwischen Rocuronium als relevantem Vertreter der nicht-depolarisierenden Relaxantien und Succinylcholin / Suxamethonium als depolarisierendes Relaxans. Roc vs. Sux ist ein munter ausgefochtener Kampf, wiewohl die Studienlage bereits zahlreich nachweisen konnte, dass Rocuronium non-inferior ggü. Succinylcholin ist (Link, Link, Link, Link, Link, Link), v.a. aufgrund der langen Liste an Nebenwirkungen und Kontraindikationen für Sux. In der Praxis wird hierzulande bevorzugt Rocuronium (1-1,2 mg/kg Idealgewicht) verwendet, ich beginne die Öffnung des Mundes üblicherweise nach 45 Sekunden. Die Dosis von Succinylcholin ist 1-1,5 mg/kg Totalgewicht.
Und dann?
Wir verabreichen unsere Einleitungsmedikamente, warten etwa 30-60 Sekunden (je nach Relaxans) ab und intubieren den Patienten. Danach ist es eigentlich eine „normale“ Narkose. Besonders achten muss man auf die Hämodynamik, bei vielen Patienten wird das eine wesentliche Baustelle sein. Vielleicht ist es aber auch wirklich ein Elektiveingriff bei einem sonst gesunden Patienten mit einer Hiatushernie und wir müssen uns wenig Sorgen machen. Aufpassen muss man beim Extubieren, denn auch dabei besteht natürlich ein Aspirationsrisiko. Daher empfiehlt sich am Ende einer OP jedenfalls eine PONV-Prophylaxe sowie das Absaugen von Mageninhalt über eine Magensonde. Die Extubation sollten wir möglichst sicher gestalten, Re-Intubieren oder Maskenbeatmen wollen wir definitiv nicht. Auf eine adäquate Spontanatmung mit ausreichenden Schutzreflexen ist zu achten. Die Relaxometrie zum Ausschluss einer Restrelaxierung hat daher einen besonders hohen Stellenwert! Und generell gilt: Keine Experimente bei solchen Patienten! Frühzeitig (auch bei Unsicherheit) Unterstützung holen. Wenn man erstmal begonnen hat muss es schnell gehen – in der Regel haben wir Einfluss auf den Beginn unserer Einleitung. Erst dann Hilfe zu holen wird meist zu spät sein!
Exkurs
Ganz grundsätzlich sind vor Durchführung einer RSI die Anlage von zwei periphervenösen Kathetern empfohlen (außer Patient erhält oder hat ZVK), um bei unerwartetem Paravasat im Rahmen der Einleitung einen Sicherheitszugang zu haben. Erst kürzlich musste ich solch eine Erfahrung machen. Ich wurde vom Gynäkologen bzgl. einer ca. 40-jährigen Dame kontaktiert, welche einen Abort erlitten und im Uterus Blut angesammelt hatte (Hb 14 auf 10 g/dl). Ein dringlicher Eingriff war nötig. Die Patientin selbst war internistisch laut eigenen Angaben gesund, aber adipös (120 kg auf 170 cm). Ein rosa Zugang lag in der Cubita rechts, ansonsten war sie schon mehrmals auf der Station verstochen worden (sehr schlechter Venenstatus). Ich setzte ultraschallgezielt einen Katheter in die A. radialis dextra, weiters ultraschallgezielt einen Venenzugang in die V. basilica sinistra. Nach Applikation von Tranexamsäure 1 g, Fibrinogen 4 g, Glycopyrrolat 0,2 mg und Ondansetron 4 mg bereitete ich alles für die Narkoseeinleitung der nicht-nüchternen Patientin vor (letzte Mahlzeit vor 5h, letztes Trinken vor 1h). Eine Spinalanästhesie (SPA) zum Schutze des Atemwegs wurde seitens der Patientin abgelehnt (trotz Hinweisen meinerseits bzgl. Aspiration), ein Aufsetzen für die Anlage der SPA war aufgrund ihrer Anämie-bedingten Schwäche nicht möglich. Klinisch war sie blass wie die Wand, HF ca 80/min, Rekap < 2s, nicht schweißig, RR 110/70. Ein relevanter hämorrhaghischer Schock lag (noch) nicht vor, da die Kompensationszeichen (Tachycardie, Rekap > 2 s) noch nicht wirklich vorlagen. CAVE: Schock ist nicht Hypotonie! Der Eingriff sollte laut Gynäkologe ca. 10 Minuten dauern – er vermutete eine mögliche weiterhin aktive Blutung im Uterus. Über den rosa Venenzugang schlich ich Noradrenalin ein, über den weißen Venenzugang wollte ich die Narkose einleiten. Aufgrund ihrer körperlichen Konstitution drehte ich eine Nasenbrille mit 15 l/min zur zusätzlichen apnoeischen Oxygenierung (Link) auf, während sie ausgiebig präoxygeniert wurde. Ich verabreichte zunächst Alfentanil 1 mg i.v. und nach wenigen Sekunden berichtete die Patientin bereits über Schwindelgefühle und Rausch. Sodann folgten Etomidat 40 mg und Succinylcholin 150 mg. Succinylcholin hat eine Anschlagszeit von ca. 30 Sekunden. Doch es kam anders…. Nach 30 Sekunden atmete die Patientin immer noch, sie wirkte auch nur leicht sediert… ich wartete weitere 15 Sekunden und ich merkte, dass sie in eine insuffiziente Atmung überging, aber immer noch nicht paralysiert und ausreichend narkotisiert war. Unverzüglich inspizierte ich den weißen Venenzugang und siehe da – er war para. Ein Teil von Etomidat / Succinylcholin war im systemischen Kreislauf, ein Teil subcutan. Sie war also genau in dem Stadium, wo sie selber insuffizient atmet, aber eine unterstützende Beutel-Masken-Beatmung riskant wäre, da eine Aspiration durch Mageninsufflation droht (CAVE es gilt: Oxygenierung wichtiger als potentielle Aspiration; siehe modifizierte RSI). Der Worst Case ist eingetreten! Ich beatmete nicht, sondern wies die Anästhesiepflege an, unverzüglich 100 mg Succinylcholin und Etomidat 20 mg aufzuziehen und über den Noradrenalin-Zugang zu verabreichen. Ich wartete nach Applikation noch 15 Sekunden zu und intubierte dann die Patientin prompt und problemlos mittels McGrath VL 3 und Tubus ID 7,5. Eine Desaturierung fand glücklicherweise nicht statt, ebenso auch keine Aspiration. Dann setzte ich noch einen grünen Venenzugang am Handrücken links (Narkose bedingt Vasodilatation und erleichtert somit Venopunktion), sodass Noradrenalin wieder solo über Rosa infundiert werden konnte. Die OP war nach 10 Minuten fertig und ich extubierte die Patientin 5 Minuten später. Meine Lehre aus dem Fall: egal wie kurz der Eingriff ist: ein zweiter Venenzugang ist bei jeder Notfallnarkose Pflicht. Hätte ich diesen nicht gehabt hätte ich die Patientin intraossär bohren müssen! Ihr seht: Notfallnarkosen sind auch innerklinisch bei kurzen Eingriffen maximale Hochrisikomaßnahmen.
Cheers.
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