Cocain ist ein Lokalanästhetikum, welches Ende des 19. Jahrhunderts durch den österreichischen Arzt Dr. Karl Koller Berühmtheit erlangte, indem er topisch analgetische Wirkungen am Auge nachwies. Dies revolutionierte ophthalmologische Eingriffe. Ihr kennt sicher den Zungentest aus Filmen, wo die Gangster mit dem Messer in das Cocain-Packerl schneiden und eine Kostprobe nehmen – das Betäuben der Zunge weist Cocain nach (aber nicht wie rein es ist!). Heutzutage wird Cocain selten verwendet; in meinem Spital gilt es noch als 1. Wahl zur nasalen Betäubung (s.u.) im Rahmen der fiberoptischen Intubation (FOI), wobei eine Mischung aus Lidocain und Phenylephrin als gleichwertig zu bewerten ist. Den meisten Lesern ist Cocain sicherlich als Suchtmittel bekannt, weshalb wir die Intoxikation heute beleuchten werden.
(Neben)Wirkungen
Neben der Blockade von Natriumkanälen wirkt Cocain sympathomimetisch und führt u.a. zu erhöhten Spiegeln von Adrenalin, Noradrenalin, Dopamin und Serotonin. Eine Cocain-Ingestion erkennt man somit an Aufgedrehtheit, Euphorie, Nesteln, Schwitzen, Mydriasis und Kreislaufstimulation. Die Aufnahme erfolgt üblicherweise nasal (Schnupfen einer Line) oder inhalativ (Crack), relevante Plasmaspiegel werden zügig erreicht. Die vasokonstringierende Wirkung macht man sich bei der nasalen Zerstäubung iRd FOI zunutze, um durch Einführen von Wendl-Tuben, Bronchoskop und Endotrachealtubus keine Epistaxis zu verursachen (Aspiration, Sichtbehinderung, Emesis). Beachte, dass rezidivierendes Schnupfen von Cocain zu einer Ischämie der Nasenschleimhaut mit Nekrose führt – durch die gleichzeitige analgetische Wirkung ist dies dem Konsumenten aber zunächst nicht bewusst. Langfristig finden sich bei Cocainabusus durch Schleimhautnekrosen somit Verbindungen zwischen beiden Nasen-bzw. Nasen- und Mundhöhle. Andere Langzeitnebenwirkungen sind dilCMP, Lungenschäden und Infektionen mit z.B. Hep C oder HIV. Denke daher bei Patienten mit Cocainabusus stets an Eigenschutz.
Intoxikation
Der klassische Patient entspricht dem sympathomimetischen Toxidrom in seiner vollsten Ausprägung. Unruhe, Hastigkeit, Aggression, Halluzinationen (Cocain-Käfer), Schwitzen, Hyperthermie, Kreislaufentgleisung inkl. Brustschmerzen und Arrhythmien (Natriumkanalblockade am Herzen). Entarten kann das Ganze u.a. in intracranieller Blutung, Aortendissektion, Herzinfarkt, SCAPE, Rhabdomyolyse mit Nierenschaden, Krampfanfällen und Koma (CT notwendig).
Ich gebe zu: einen Cocain-Patienten in vollster Ausprägung zu beruhigen ist schwierig. Neben Eigenschutz ist zunächst zu versuchen, ob eine verbale Beruhigung möglich ist. Sollte der Patient selbst- oder fremdgefährdend werden, so ist die Anwendung körperlicher Kraft durch Mitarbeiter der Exekutive oder Sicherheitsdienste zulässig. Beachte, dass es zu einem Tasereinsatz kommen könnte. Die unmittelbare medikamentöse Beruhigung erfolgt bestenfalls mit Haloperidol 10 mg i.m., Droperidol 10 mg i.m. oder Midazolam 10-20 mg i.m. – hohe Dosen sind nötig, da es sich oft um junge, kräftige Männer handelt, die durch den angekurbelten Stoffwechsel eine hohe Metabolisierungsrate und Medikamentenverteilung im Körper aufweisen. Esketamin i.m. ist hier definitiv kontraindiziert, da es ebenfalls hyperdynam wirkt und Halluzinationen bedingen kann, d.h. der Patient rastet dann endgültig aus.
Bei Anlage eines IV-Zugangs (nach i.m. Sedierung oder bei Kooperation) erfolgen nach Beurteilung mittels ABCDE-Schema die Gabe von O2, Midazolam 5-10 mg i.v. (oder Propofol 100-200 mg i.v. – bei Exzitation ist jederzeit Krampfanfall möglich) und die rasche Applikation von Flüssigkeit (Hypovolämie, Rhabdomyolyse). Eine aktive Kühlung ist anzustreben.
Die hyperdyname Kreislaufsituation kann neben Midazolam auch mittels Calcium-Kanalblocker (Verapamil oder Diltiazem 10-20 mg i.v.) oder Urapidil 10-50 mg i.v. behandelt werden. Eine β-Blockade ist laut gängiger Lehrmeinung / Literatur (Link) nicht empfohlen, da eine negative Inotropie durch reine β-Blockade (z.B. Esmolol) zu einer reflektorischen α-Vasokonstriktion mit rasantem Anstieg des RR führen kann. Es ist jedoch zu berücksichtigen, dass mit Labetalol ein kombinierter i.v. α/β-Blocker existiert, welcher anwendbar erscheint. An meiner Abteilung ist Labetalol verfügbar.
Bei Brustschmerzen (Vasospasmus, relative Hypoperfusion durch Tachycardie) sind primär Calcium-Kanalblocker, Midazolam und Glyceroltrinitrat 0,8 mg s.l. wirksam. Eine PCI kann notwendig sein, da es u.a. zu Coronardissektion kommen kann. Dann sind auch ASS, UFH und ADP-Blocker wie bei OMI indiziert. Bei Hinweisen auf exzessive cardiale Natriumkanalblockade (R/S-Ratio > 0,7 in aVR, R > 3 mm in aVR, Rechtstyp, QRS-Verbreiterung) ist die Gabe von Natriumbicarbonat 100 ml indiziert.
Fazit
Auch wenn viele von uns mit Cocainintoxikationen kaum oder noch gar keine Berührungspunkte hatten, ist zu bedenken, dass der Suchtmittelmissbrauch im Zunehmen ist. Daher kann man sich den klinischen Präsentationen verschiedener Drogen nicht verschließen, da man sonst bei der Versorgung komplett auf verlorenem Posten stehen würde. Unsicheres medizinisches Personal macht auch Exekutive bzw. Sicherheitsdienstmitarbeiter unsicher. Sollte der Patient selbst durch Zureden und hochdosierte Sedativa nicht ruhigstellbar und weiterhin selbst- oder fremdgefährdend sein, so ist eine „Zwangsnarkose“ (Link, Link) mit Intubation, Intensivaufenthalt, Behandlung / Verhinderung von Komplikationen und aktiver Kühlung indiziert.
Schreibe einen Kommentar