Wer soll präklinisch intubieren?

Im heutigen Beitrag geht es um die präklinische Endotrachealintubation (ETI). Dabei stellen wir aktuelle Publikationen und Empfehlungen verschiedener Fachgesellschaften vor. Es ist unmöglich das gesamte Thema in einem Beitrag abzuhandeln, die wesentlichen Eckdaten und Kernaussagen haben wir euch jedoch vorgestellt. Bei weiterführender Information könnt ihr euch in die verlinkten Publikationen bzw. Stellungnahmen einlesen.

Die ETI ist eine Hochrisikomaßnahme, insbesondere im prähospitalen Setting. Eine Narkose mit zu hohen Einleitungsdosen kann zum Herz-Kreislaufversagen mit potentieller Reanimation führen, eine zu flache Narkose erschwert das Atemwegsmanagement erheblich. Komplikationen des Manipulierens am Atemweg sind u.a. Sympathikusreizung (erhöhter Hirndruck, erhöhter Augeninnendruck, Tachycardie, Hypertonie – alles nachteilig für einen schwer kranken Patienten), Hypoxie, Hyperkapnie, Schäden im Mund bzw Halsbereich, Laryngospasmus, Verlust des Atemwegs, Fehlintubation in den Ösophagus (100% letal, wenn unerkannt) und Drucknekrosen (Cuff).

Als klassische Indikationen gelten grundsätzlich das hypoxische oder hyperkapnische Atemversagen und der Aspirationsschutz. Das bedeutet nicht unbedingt, dass man jeden Patienten sofort intubieren soll, der diese Kriterien erfüllt. So ist es durchaus vertretbar, den hyperkapnischen COPD-Patienten (aeCOPD) mit reduziertem Allgemeinzustand zunächst einer NIV-Therapie zuzuführen oder bei sehr kurzer Dauer einen raschen Transport ins Zielkrankenhaus durchzuführen, um dort mit mehr Personal den Atemweg zu sichern.

Wie wir alle wissen, herrschen in der Präklinik andere Gesetze und Bedingungen. Die Patienten sind unbekannt, nicht nüchtern, haben mitunter zahlreiche Co-Erkrankungen, nehmen eine Palette an Medikamenten und das Team kennt sich vielleicht gar nicht. Hinzu kommt der Berufungsgrund für den Rettungsdienst, zB Polytrauma, akute Atemnot oder cardiogener Schock. Die widrigen Bedingungen (zB enge Wohnung, Arbeiten im Freien) entsprechen ebenfalls nicht intrahospitalem Standard. Muss man sich dann auch noch um den Atemweg kümmern, so stellt man sich natürlich der Frage: intubieren oder nicht intubieren?

Grundsätzlich gibt es diesbezüglich klare Stellungnahmen der Dt. Gesellschaft für Anästhesie und Intensivmedizin (hier, hier), der Scandinavian Society of Anaesthesiology and Intensive Care Medicine SSAI (hier) und der Association of Anaesthetists of Great Britain and Ireland (hier). Die Kernaussage all dieser Arbeiten ist, dass das Atemwegsmanagement (und insbesondere die ETI) ausschließlich durch entsprechend trainiertes Personal durchzuführen ist. Inwieweit die frühzeitige, präklinische ETI relevante Effekte auf Mortalität bzw Morbidität bei verschiedenen Krankheitsbildern hat, ist noch Gegenstand von Untersuchungen. Beispielsweise ist die Narkoseeinleitung und Intubation beim schweren Schädel-Hirn-Trauma (siehe Beitrag) mit der Mortalität und dem Outcome korreliert. Fakt ist, dass die Entscheidung dazu nicht leichtfertig getroffen werden darf, insbesondere wenn man diese Maßnahme nicht beherrscht, denn dies ist jedenfalls mit erhöhter Mortalität assoziiert. Da der einzelne Notarzt in Deutschland im Schnitt präklinisch nur 1x/Monat intubiert, macht dies deutlich, dass gerade auch deshalb nur jemand den Atemweg per ETI sichern soll, der darin entsprechend trainiert ist.

Aber ab wann beherrscht man das Atemwegsmanagement? Darauf gibt es keine eindeutigen Antworten, ich möchte hier aber zwei Arbeiten vorstellen. 2012 stellten Bernhard et al fest, dass ein fast 100%iger First Pass Success nach etwa 200 ETI erreichbar ist. Dabei ist zu berücksichtigen, dass dies innerklinisch untersucht worden ist – im Notfall herrschen aber eben keine innerklinischen Bedingungen. Dies verdeutlicht noch einmal, wieso ausschließlich regelmäßig elektiv trainiertes Personal die prähospitale ETI durchführen soll. Auch der European Resuscitation Counsil (ERC) fordert in den Guidelines aus dem Jahr 2021, dass die ETI im Rahmen der Reanimation nur durch jemanden durchgeführt werden darf, bei dem zu 95% wahrscheinlich ist, dass er den Atemweg nach zwei Versuchen mit dem Endotrachealtubus gesichert hat (Link). Tatsächlich veröffentlichte das Joint Royal Colleges Ambulance Liaison Committee schon 2008 eine Stellungnahme, dass die ETI durch Paramedics im Vereinigten Königreich zu unterlassen ist.

Die zweite Arbeit von Mohr et al aus dem Jahr 2013 untersuchte die Lernkurve der Larynxmaske (LM), welche ja bekanntermaßen als Rescue-Option bei gescheiterter zweimaliger (!) prähospitaler Intubation gilt. Dabei wurde ersichtlich, dass nach 40 LM ein fast 100%iger Platzierungserfolg verzeichnet werden konnte. Erneut der Hinweis, dass dies innerklinisch unter optimalen Bedingungen erfolgt ist. Dies könnte einen Anhaltspunkt dafür geben, wie Nicht-Ärzte in der Präklinik den Atemweg im Rahmen der Reanimation sichern könnten (Larynxmaske). Die in Österreich derzeit gelebte Praxis, Rettungssanitätern mit 260h Ausbildung den Larynxtubus ohne jegliches Training am Menschen im Rahmen der Reanimation freizugeben, ist an Absurdität nicht zu überbieten, insbesondere da fürchterliche Komplikationen durch Cuff-Überblähung beschrieben worden sind.

Einige Arbeiten verglichen auch den Unterschied zwischen Nicht-Ärzten und Ärzten im Bereich des Atemwegsmanagements:

  • diese Arbeit empfiehlt, die Intubation aufgrund der signifikant höheren Intubationsraten trainierten Ärzten vorzubehalten
  • auch hier zeigt sich ein signifikanter Unterschied (Intubationsrate ~ 90% Sanitäter, ~ 99% Ärzte, p 0,003)
  • diese Arbeit aus Südafrika 2022 zeigte eine First-Pass-Success-FPS-Rate bei ETI durch Nicht-Ärzte von nur 75,3%
  • diese Arbeit mit > 7200 eingeschlossenen Patienten wies nach, dass die Notärzte > 99% der Patienten intubieren konnten, wobei Nicht-Anästhesisten doppelt so oft auf ein Rescue-Device aufgrund gescheiterter Intubation zurückgriffen
  • diese Publikation mit > 10 000 Patienten fordert aufgrund ihrer Ergebnisse (FPS Ärzte: 91%, FPS Nicht-Ärzte: 75%) überhaupt, dass prähospitale ETI bei Kindern ausschließlich durch trainierte Notärzte durchzuführen sind
  • diese Arbeit überprüfte das Atemwegsmanagement durch Nicht-Ärzte in Finnland und kam zum Schluss, dass die Ausbildung ungenügend ist (> 65% der Personen hatten schon eine gescheiterte prähospitale ETI und nur 26% hatten OP-Praktika in den letzten 12 Monaten!)
  • diese multinationale Übersichtsarbeit mit > 14700 Patienten konnte nachweisen, dass auch bei anästhesiologisch trainierten Ärzten die ETI in 14,5% der Fälle gescheitert ist, weshalb auf alternative Atemwege zurückgegriffen werden musste – ALLE Patienten konnten versorgt werden, was die Wichtigkeit des Trainings in der alternativen Atemwegssicherung verdeutlicht!
  • diese Arbeit mit fast 2000 Kindern zeigte, dass die ETI durch darin trainierte Ärzte sicher ist
  • diese Publikation wies nach, dass das Atemwegsmanagement durch anästhesiologische Notärzte sicher und mit niedrigen Komplikationsraten vergesellschaftet ist
  • in dieser Arbeit musste bei 1047 prähospitalen notärztlichen ETI kein einziger chirurgischer Atemweg angelegt werden und alle Komplikationen wurden sofort und hinreichend erkannt

All diesen Arbeiten ist gemein, dass der Großteil der Notärzte dem Fachgebiet der Anästhesie und Intensivmedizin zuzuordnen ist. Dies verdeutlicht den Stellenwert der Notfallmedizin als einer der Säulen der Anästhesiologie. Es verwundert daher nicht, dass regelmäßige OP-Praktika für nicht-anästhesiologische Notärzte gefordert werden. Die Frage ist: wie lange soll man bei diesbezüglich untätigen Ärzten noch zuschauen? In dieser Arbeit z.B. wird festgestellt, dass durch alleinige präklinische Tätigkeit ein qualitativ hochwertiges Atemwegsmanagement nicht durchgeführt werden kann, da die Fallzahlen zum Erhalt der bereits erworbenen Kompetenz zu niedrig sind. Auch im Rahmen der CPR muss man sich für eine definitive Atemwegstrategie entscheiden (Link).

In Zusammenschau der aktuell vorliegenden Evidenz sowie Empfehlungen der verschiedenen Fachgesellschaften muss festgehalten werden, dass die ETI im Rahmen der Notfallnarkose oder Reanimation ausschließlich einem adäquat anästhesiologisch trainierten Arzt zu überlassen ist. Beim Atemwegsmanagement geht es nicht „nur“ um das Legen eines Tubus, sondern die korrekte Indikationsstellung, adäquate Narkoseeinleitung und -führung, sichere Durchführung des Atemwegsmanagements (inkl. Rescue-Optionen) sowie korrekte invasive maschinelle Beatmung von Patienten aller Altersklassen und mit jeglichen nur erdenklichen Krankheiten. Für Sanitäter (in Österreich dzt. NKI) ist jedenfalls das Erlernen der Larynxmaske mit regelmäßigen Auffrischungstagen unter kontrollierten Bedingungen am Menschen (!) zu fordern. Bezugnehmend auf die Stellungnahme der Österreichischen Gesellschaft für Anästhesiologie, Reanimation und Intensivmedizin (ÖGARI) ist daher die Überlegung der Umbenennung der sanitätsdienstlichen Notkompetenz NKI in NK-EGA (~ extraglottischer Atemweg) sowie die entsprechende Ausbildung zu unterstützen.


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