Verfolge einen Plan

Heute möchte ich euch über einen extrem herausfordernden Fall berichten. Ich wurde kurz vor Dienstschluss (nach 24h Arbeit) von einem meiner anästhesiologischen Oberärzte angerufen, dass ich mich unverzüglich auf eine unserer Intensivstationen begeben sollte, da dort ein Patient mit oberer gastrointestinaler Blutung (oGIB) lag und dzt. akut und schwallartig blutete. Er müsste unverzüglich in den OP.

Bei meinem Eintreffen präsentierte sich mir das klinische Bild eines ausgeprägten hämorrhagischen Schocks mit Lufthunger, Tachycardie, Hypotonie, Schweiß, Blässe. Der Mund war blutig, immer wieder spuckte er Blut, eine Magensonde war liegend. Es liefen hochdosiertes Noradrenalin und Vasopressin, ein ZVK und eine Arterie waren vorhanden (Patient seit mehreren Tagen bei uns auf der ICU). Ursprünglich erfolgte seine Aufnahme damals bei oGIB, die initial stabilisiert werden konnte.

Ich bekam den Patienten sozusagen akut entgegengeschmissen. Viel Zeit für Anamnese, Background oder bisherige Verläufe gab es nicht. Es war gewaltig Feuer am Dach. Vor Abfahrt erhielt er von den anästhesiologischen Intensivärzten noch im Schnelldurchlauf Tranexamsäure und Gelofusin und ab ging die Post in den OP. Ich rief am Weg meine Anästhesiepflege an, dass Hilfe zu organisieren war und wir eine Massentransfusion durchführen würden. Ferner ließ ich herrichten: 4x 0 negativ, 4 g Fibrinogen, Esketamin, Rocuronium, Adrenalin (Supra Blitz).

Folgende Gedanken gingen mir im Aufzug durch den Kopf:

  • überlebt der Patient die Einleitung
  • schaffe ich die Intubation
  • besteht etwas Zeit um ihn vor Einleitung zu stabilisieren

Ihr seht: wir stehen hier vor sehr schweren, komplexen und herausfordernden Entscheidungen, die mir alles abverlangen würden.

Eintreffen im OP

Vor Umlagern vom ICU-Bett auf den OP-Tisch kam es zunächst zu schwallartigem Erbrechen – der Atemweg war akut bedroht, weshalb ich unverzüglich eine Ausräumung mittels Absaugkatheter durchführte. Ferner saugten wir weiter aus der Magensonde ab. Die Situation ließ sich schnell lösen. Ich verabreichte Ondansetron 8 mg (Blut ist extrem emetogen).

Nach Umlagern auf den OP-Tisch führte eine Pflege das Monitoring durch, eine weitere Pflege richtete die Blutprodukte und die dritte Pflege assistierte mir. Da wir nur einen ZVK hatten und dieser für eine Massentransfusion keinesfalls geeignet ist (Hagen-Poiseuille lässt grüßen) legte ich dem Patienten ultraschallgezielt einen orangenen Venflon in die linke Cubitalvene. Darüber ließen wir mittels Rapid Infusion System 4x EK hineinlaufen, ebenso erhielt er über den ZVK per Bolus 4 g Fibrinogen verabreicht. Dies nennt man „resuscitate before you intubate“, d.h. ein Patient wird vor Einleitung so gut es geht stabilisiert, um einen Kreislaufzusammenbruch oder Herz-Kreislaufstillstand durch die Narkose zu vermeiden.

Einleitung

Mein Plan für die Narkoseeinleitung sah folgendermaßen aus: Einleitung mittels Esketamin und Rocuronium, Adrenalin auf Anschlag, Noradrenalin hochdosiert weiter. Ein OP-Pfleger richtete mir einen starren chirurgischen Sauger, da ich die Atemwegssicherung mittels SALAD durchführen wollte. Mehr dazu findet ihr hier. Mittlerweile kam auch ein anästhesiologischer Oberarzt zu Hilfe und er war mit dem Plan einverstanden.

So setzten wir den Patienten mittels Notfallnarkose ins künstliche Koma und hofften auf das Beste. Uns war allen bewusst, dass das jetzt in einer kompletten Katastrophe enden konnte, doch es gab keinen anderen Ausweg. Der Chirurg musste mittels Laparotomie den Magen eröffnen und die Blutungsquelle stillen. Nach Ablauf von 45 s führte ich das Videolaryngoskop samt starrem Absaugkatheter ein, während parallel die Magensonde über einen anderen Sauger drainiert wurde. Sofort war ein erheblicher Blutsee evident, den ich jedoch mittels starrem Katheter sehr gut absaugen konnte. Das VL führte ich weiter in die Tiefe, bis ich die Glottis darstellen konnte. Es war alles so unglaublich blutig, ich sah das weiße Schimmern der Stimmbänder kaum. Ich entfernte den starren Katheter und platzierte ihn links vom VL in den Ösophagus hinein, wo er weiter Blut aus dem Magen entfernte. Sodann konnte ich die Trachea prompt und problemlos intubieren. Insgesamt nahm der gesamte Intubationsvorgang von Einführen VL bis Intubation 10 Sekunden in Anspruch. Entscheidend hierbei war, dass ich SALAD bereits mehrfach unter kontrollierten Bedingungen geübt hatte (und auch weiterhin regelmäßig anwende) und daher mit der Technik vertraut war. Auch als Notarzt musste ich SALAD bei einer oGIB mit letztlich frustraner Reanimation bereits präklinisch anwenden.

Wie ging es weiter?

Nach der erfolgreichen Atemwegssicherung erfolgte die Übernahme in die maschinelle Beatmung, Hinzufügen von Sevofluran und Remifentanil sowie die weitere Stabilisierung. Ich setzte noch einen orangenen Venenzugang ultraschallgezielt, diesmal in die re. Cubitalvene. Der Patient erhielt noch 2000 Einheiten PPSB (Faktoren II, VII, IX, X), 1 g Tranexamsäure und 3 Ampullen Calciumgluconat. Mit hochdosiertem Noradrenalin und Vasopressin war er soweit stabil, Kristalloide verabreichte ich so gut wie keine (Hämodilution, don’t pop the clot). Der Patient wurde dann vom Oberarzt weiter betreut und ich durfte den Heimweg nach 25h Arbeit antreten. Ich erhielt später die Info, dass noch weitere vier Blutkonserven, zwei Thrombocytenkonserven und Fresh Frosen Plasma verabreicht worden sind. Den Eingriff hat er überlebt, aber ob er die nächsten Tage über die Berge schafft ist mehr als ungewiss.

Fazit

Das Behandeln kritisch kranker Patienten insbesondere im Akutfall ist hochkomplex und erfordert eine fundierte anästhesiologisch-intensivmedizinische Aus- und Weiterbildung, in der invasive Maßnahmen regelmäßig und v.a. im OP unter kontrollierten Bedingungen immer und immer wieder beübt werden, um diese Maßnahmen dann im Notfall zügig und effizient durchführen zu können. Es ist verantwortungslos und unprofessionell, beim kritisch kranken Patienten drauf zu kommen, dass man jetzt plötzlich z.B. ultraschallgezielt Arterien oder großlumige Zugänge stechen möchte, man das aber sonst im Routinealltag nie regelmäßig tut oder getan hat. Das ist regelhaft zum Scheitern verurteilt und gefährdet Patienten, da es hier um Zeit geht und ernsthafte Komplikationen resultieren. Regelmäßiges innerklinisches Training unter kontrollierten Bedingungen ist auch beim präklinischen Airwaymanagement bedeutend (hier), wobei ich natürlich wie jeder Anästhesist auch schon innerklinisch mit einem unmöglich zu sichernden Atemweg konfrontiert gewesen war (Link). Nur wer Maßnahmen oft macht und diese regelmäßig unter kontrollierten Bedingungen beübt kann diese dann auch effektiv und zügig einsetzen, wenn es darauf ankommt und der Hut brennt. Merke: An Notfallpatienten werden hochkritische Maßnahmen das erste Mal nicht ausprobiert!

Neben dem hochkomplexen Airwaymanagement waren die Narkoseeinleitung und das Gerinnungsmanagement von entscheidender Relevanz. Auch Esketamin ist kein Garant für eine HD-stabile Einleitung, mehr entnehmt bitte dem Beitrag darüber. Todesangst und Schock führen zu maximalem Stress und maximaler Rekrutierung von Stresshormonen und Catecholaminen – die Narkose hebt diesen Stress auf, weil sie regelhaft sympathikolytisch wirkt. Ein Kreislaufstillstand ist möglich. Aus diesem Grund war mir wichtig, durch blindes Gerinnungsmanagement eine gewisse Stabilisierung vor Einleitung zu erzielen (antizipiere und plane voraus). Propofol hat keinen Platz bei der Notfallnarkose von kritisch kranken Patienten.

Dieser Fall war extrem fordernd, doch mit meinem Plan konnte der Patient sicher in Narkose gesetzt und intubiert werden und war soweit stabil. Der Fall zeigt eindrucksvoll wie hochkomplex Atemwegsmanagement ist und dass es in Hände von Profis gehört! Ich muss sagen, dass ich das Videolaryngoskop zuvor noch nie so blutverschmiert gesehen hatte.

Cheers.


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