Quo vadis, Notfallsanitäter?

Dieser Beitrag stellt meine persönliche Meinung dar, welche durch Daten ergänzt wird und primär den österreichischen Rettungsdienst behandelt.

Einführung

In Zeiten steigender Alarmierungszahlen des Rettungsdienstes und der damit einhergehenden Belastung mit häufigen Fehleinsätzen oder Low Code Alarmierungen dreht sich alles um die Frage, wie man das richtige Personal zum richtigen Patienten disponiert. Dies fängt zunächst bei der Schulung der Anrufer (wann brauche ich die Rettung und wann nicht), verfügbaren Gesundheitshotlines (z.B. 141, 1450) sowie in der Leitstelle (Effizienz des Abfrageschemas) an. Das soll aber nicht der Fokus dieses Beitrags sein, sondern die Ausbildung des Notfallsanitäters. Diese soll bekanntermaßen intensiviert werden. Einer der angegebenen Gründe ist ein angeblicher Notarztmangel, doch das kann man so per se nicht gelten lassen, da Österreich EU-weit die höchste Dichte an Stützpunkten aufweist (Link). Sieht man sich z.B. diese rezente Arbeit aus Österreich bzw. die Auswertung der Diplomarbeit (Ressourceneinsatz in der prähospitalen Notfallmedizin in Österreich – eine retrospektive Studie, Caroline Natusch, Graz, 2025) an, so ist ersichtlich, dass der Notarzt nur in ca. 15% relevante invasive Maßnahmen (Intubation, Narkose, Catecholamine, Bülaudrainage….) ergreift. Fehleinsätze bzw. Stornos sind in ca. 22% der Einsätze zu beklagen, in > 50% der Einsätze liegt keine akute Lebensgefahr vor. Es ist also klar, dass im Jahr 2025 immer noch eine inflationäre Disposition von Notärzten erfolgt. Von einem Mangel kann also keine Rede sein, wenn in > 80% der Einsätze keine notärztliche Kompetenz erforderlich ist. Wie erklärt sich denn z.B., dass London HEMS mit zwei Notärzten für 10 Millionen Einwohner auskommt? Nachwievor ist der Notarzt hierzulande also teils „Platzhalter“ für gewisse medizinische Maßnahmen, die ein Notfallsanitäter eigentlich auch durchführen könnte, bei diesen Einsätzen aber entweder gar nicht vor Ort ist (weil nicht im Dienst oder disponiert worden) oder weil eine invasive Maßnahme gar nicht angewendet werden darf (z.B. nur NFS ohne NKV-Berechtigung). Auch wenn glücklicherweise die Voraussetzungen für den Notarztdienst verschärft worden sind (siehe Beitrag), so müssen wir uns dennoch endlich produktiv mit der Zukunft unserer Notfallsanitäter beschäftigen.

Positionspapiere

Der Bundesverband Rettungsdienst Österreich (BVRD) fordert in seinem Positionspapier nachfolgend dargestelltes Ausbildungskonzept. Dieses wurde rezent von der österreichischen Ärztekammer, der Österreichischen Gesellschaft für Anästhesie, Reanimation und Intensivmedizin (ÖGARI) und dem BVRD in einer gemeinsamen Aussendung noch mal bekräftigt (Link). Auch das Rote Kreuz und der Samariterbund haben eigene Positionspapiere publiziert (Link, Link). Notruf Niederösterreich hat mit der Acute Community Nurse sogar einen neuen Player in den Topf geworfen, um pflegerische und rettungsdienstliche Notfälle abzuhandeln. In Wien läuft das System etwas anders als im Rest von Österreich, da es dort neben einem ausgeprägten Qualitätsmanagement (FISU, jährliche Überprüfungen, Forschung) auch ein Oberarztsystem gibt. Weiters ist jeder RTW mit einem Notfallsanitäter besetzt (im Gegensatz zum Rest von Österreich wo „RTW“ mit Rettungssanitätern besetzt sein können). Das Sanitätergesetz aus dem Jahr 2002 wurde seither nicht novelliert oder fundamental überarbeitet. Für Deutschland fordert die DIVI ebenfalls einen gezielteren Einsatz von NFS wie auch eine Disponierung von Notärzten zu primär lebensbedrohlichen Lagen (Link).

Notfallsanitäterausbildung

Ganz grundsätzlich spielt in Österreich der hohe Anteil an freiwilligen Sanitätern eine bedeutende Rolle für die Aufrechterhaltung unseres Rettungsdienstes. Dies steht einer Professionalisierung des Berufsbildes Notfallsanitäter im Wege, da z.B. im BVRD-Positionspapier eine dreijährige Ausbildung gefordert wird. Das ist somit für einen ehrenamtlichen Sanitäter unerreichbar. So sieht z.B. der Gesundheitsplan für NÖ für die Zukunft eine Reduktion der Notarztstandorte und eine Erhöhung der RTW-C-Standorte vor.

Als Notarzt und Anästhesiologe befürworte ich selbstverständlich diese Schritte. Unter Berücksichtigung der obigen Daten (die auch einen NACA 1-3 Anteil von > 50% bei Notarzteinsätzen zeigen) wage ich sogar eine gewagtere Behauptung: wir brauchen nicht mehr, sondern weniger Notfallsanitäter. Moment mal – was soll das denn bedeuten? Lasst mich die Aussage erläutern, bevor ihr zum Lynchversuch startet. Wie wir aus unserer Erfahrung und Daten wissen ist der Großteil der rettungsdienstlichen Einsätze „einpacken und fahren“, d.h. nur bei einer Minorität der Patienten ist tatsächlich eine invasive medizinische Maßnahme wie z.B. Venenzugang, Medikamentengabe oder gar Intubation (siehe Beitrag über präklinische Intubation hier) nötig. So ergab eine Auswertung von > 60 000 Notfallsanitätereinsätzen aus Deutschland (Link), dass invasive Maßnahmen in nur ca 17% der Fälle gesetzt wurden, Medikamente wurden überhaupt nur in 1,7% der Einsätze verabreicht. Die persönliche Analyse der NFS des Blogs „Die Zwei im Reflexstreifen“ zeichnete ebenfalls ein düsteres Bild (17x Venenzugang und 6x Medikamentengabe in 144 Einsätzen).

Was will ich damit nun sagen? Es ist für den einzelnen Notfallsanitäter sehr unwahrscheinlich, gewisse invasive Maßnahmen präklinisch in einer akzeptablen Regelmäßigkeit zu setzen und hierbei eine Routine zu entwickeln. Natürlich kann es je nach Standort Ausnahmen geben. Aber was bringt es, wenn ich an jeder Ecke Notfallsanitäter herausploppen lasse, aber einfach nicht genug Notfallpatienten da sind um die erlernten Maßnahmen regelmäßig anzuwenden? Das führt jedenfalls zu Frust und Verlust der Kompetenz. Man durchläuft eine dreijährige Ausbildung, erlernt u.a. invasive Maßnahmen und Medikamente und kann das aber letztlich nicht anwenden, weil man einfach keine Patienten mit Indikation sieht. Wenn denn schon Notärzte in ihren Diensten selten invasiv tätig werden, so gilt das erst recht auch bei Notfallsanitätern, da ja gerade Notärzte primär zu lebensbedrohlichen Krankheitsbildern disponiert werden und eine Exposition erwartbar wäre. Was könnte also die Lösung sein? Nun, es liegt nicht in meiner Verantwortung. Ich denke aber, dass es Sinn machen könnte so genannte REFs einzuführen – Rettungseinsatzfahrzeuge. Diese sind entweder mit einem Notfallsanitäter solo oder aber einem Rettungssanitäter als Fahrer und einem Notfallsanitäter als Beifahrer besetzt. Das REF wird also primär zu jenen Einsätzen mitalarmiert, wo zwangsläufig kein Notarzt erforderlich ist, aber z.B. invasive Maßnahmen, Medikamente oder auch EKG-Diagnostik indiziert sein könnten. Ein typisches Beispiel ist das ACS. Diese Analyse aus Deutschland zeigte, dass beim Einsatzstichwort „ACS“ Notärzte in nur 2,5% der Fälle tatsächlich relevante Maßnahmen setzten. In 97,5% der Fälle war also kein Notarzt erforderlich! Der entscheidende Vorteil vom REF: sollte z.B. das EKG unauffällig sein kann das REF sofort einsatzbereit gemeldet werden, während der KTW oder RTW den Patienten ins Spital führt. Wir alle kennen die Situationen, wo der RTW mit 2x NFS-NKI bei einem Patienten mit nicht pathologischem Brustschmerz gebunden ist. So wird also sichergestellt, dass eine ausgewählte aber signifikante Anzahl an Notfallsanitätern regelmäßig mit Notfallpatienten exponiert wird und entsprechend die Kompetenzen auch anwenden kann. Typische Einsatzmeldungen könnten also sein: Krampfanfall, akute Brustschmerzen, starke Schmerzen, akute Luftnot, isoliertes Extremitätentrauma, … Das Kompetenzspektrum sollte sich nach erwartbarer Häufigkeit der invasiven Maßnahme richten, also z.B. Larynxmaske bei CPR, CPAP/NIV-Therapie, variable Applikationswege von Medikamenten (inkl. i.o.), ausgewähltes Medikamentenarsenal (inkl. potenten Medikamenten wie z.B. Morphin/Piritramid, Atropin, UFH, Ticagrelor, Metoprolol, Levetiracetam, Magnesium oder bereits verfügbar wie Midazolam bei Epi, Adrenalin / Amiodaron bei CPR oder Metamizol bei Schmerzen). Ebenso sind regelmäßige innerklinische Praktika für diese NFS zu fordern, um z.B. das Airwaymanagement (BMV, Larynxmaske) aufzufrischen und aufrechtzuerhalten. Die derzeitige Praxis der ausufernden Freigabe von Medikamenten für NFS-NKV/NKI ohne Vertiefung und Verlängerung der innerklinischen Ausbildung finde ich persönlich nicht in Ordnung.

Fazit

Ich hoffe ich konnte euch meine persönlichen Vorstellungen des NFS NEU etwas verständlich darlegen. Es klingt wie ein Paradoxon, dass ich weniger NFS (und nicht mehr) fordere. Aber sind wir uns ehrlich: es gibt einfach zu wenige Notfallpatienten da draußen…


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6 Antworten zu „Quo vadis, Notfallsanitäter?“

  1. Avatar von Simon
    Simon

    Ich würde deinen Vorschlag regelmäßiger innerklinischer Praktika sehr begrüßen. Als Intensivpflegekraft und NFS-NKV schockiert es mich immer wer sich alles NFS mit Kompentenzen nennen darf…
    Zudem könnte man einen Brückeschlag zwischen San-G und GuKG schaffen, somit könnte man eine doppelte Ausbildung wie sie für die ACN in NÖ notwendig ist, vermeiden. Zudem würde der Rettungsdienst im ehrenamtlichen Bereich ebenfalls von den Pflegekräften profitieren, zumal das Gesetz hier, gerade, in Verbindung mit dem Tele-NA vielmehr zulassen würde….
    Ich bin jedenfalls schon gespnnt was die Zukunft bringt und möchte mit dem Satz „Die Patient*innen können sich die Sanitäter*innen nicht aussuchen“ abschließen.

    1. Avatar von anaestheasy

      Hallo Simon, die Durchlässigkeit NFS mit 3J Ausbildung zu DGKP wäre ideal, so wie du es ansprichst. Wir werden hier leider noch lange auf sowas warten müssen…

      1. Avatar von Simon
        Simon

        Leider….
        Da muss noch viel geschehen….

  2. Avatar von Florian

    Hallo Gasnarkose 🙂

    danke für den Artikel. Es freut uns sehr, wenn der Vorschlag des BVRD in der Community ankommt und breit diskutiert wird. Deshalb erlaube ich mir hier kurz Stellung zu nehmen.
    Dein Zugang scheint ja zunächst nachvollziehbar zu sein – die Profis braucht es für die seltenen, notfallmedizinisch komplexen Fälle. Und weil so selten, sind nicht viele Profis erforderlich und bestenfalls sind dieses also alleine auf ein REF zu setzen. Wien macht es mit FISU und Oberarzt NEF etc. vor. Ja, wir unterstützen diese Professionalisierung sogar – denn das Rettungswesen insgesamt muss sich weiterentwickeln.

    Genau in deiner zentralen These gibt es aber aus meiner/unserer Sicht konzeptionell einen eklatanten Fehler und dieser betrifft das Ausblenden des mit Abstand überwiegenden Teil unserer Einsätze. Denn wie lautet die Antwort auf >50% NACA 1-3 am NEF und >80% NACA 0-3 am RTW ? Weiterhin per Load & Go und ins Spital, in einen volle Notaufnahme, mit stundenlanger Wartezeit, Status 8 Alarmierungen und dem „Verkaufsspiel“/“Duell“ mit der aufnehmenden Triageperson – wir alle kennen das Problem „überleg dir genau was du sagst oder auslässt, damit der Patient ja genommen wird“.
    Christian Fohringer hat beim Steiger Kongress genau dieses Kernproblem auf den Punkt gebracht (https://www.youtube.com/live/7QYudz3AERE?si=Qdw8VL8lvqIFmPyK&t=1688) – deren Analyse eines typischen Einsatztages offenbart ja ganz eindeutig die Realität. Und wir schicken weiter RTW / RTW / RTW …

    Daher die Notwendigkeit einer Ausbildungsreform. Unser Kernargument lautet dabei: Die Definition von Komplexität ist in Zukunft nicht NUR in „notfallmedizinisch Komplex“ zu denken, dh. in einer hohen Notwendigkeit invasiver Massnahmen. Natürlich wünschen wir uns möglichst Delta, Echo, P1, D1, A1 und wie sie alle heissen zu fahren – dafür werden wir ausgebildet, das hat uns schliesslich auch irgendwann einmal angelockt.
    Komplexität bedeutet aber viel häufiger multimorbid, chronisch krank, sozial isoliert, wiederkehrend, abhängig. Arm, alt, krank ist wohl eine sehr häufige Trias. Genau dafür benötigt es andere Antworten, als Load & Go und Problem verschoben. Und wir haben einen demographischen Wandel, der sich beschleunigt und der das System jetzt schon ordentlich ins Wanken bringt.
    Überlegen wir uns die Steuerungs- bzw. Lenkungsdimension des Rettungsdienstes einmal anhand folgender Zahlen . Laut ÖGK Gesundheitsbarometer (https://www.gesundheitskasse.at/cdscontent/?contentid=10007.890280) führen die Rettungsdienste in Österreich alleine jährlich rund 3 Millionen Fahrten durch. Etwa 2/3 sind Krankentransport, aber immerhin noch mindestens rund 1 Mio. entsprechen der Notfallrettung – Das sind 1 Mio. Fahrten oder Fälle, von denen der überwiegende Teil nach unserer/empirischer (leider aber schwer zu erhebender) Einschätzung nicht zwingend und vor ALLEM unmittelbar in eine Notaufnahme müsste. Genau hier setzen wir an, denn der neue Beruf Notfallsanitäter:in soll in der Lage sein, herauszufiltern, was dringlich behandelt gehört und wer in niedergelassene Versorgung kann/soll.
    Das ist die Aussage auf 90 Seiten Positionspapier des BVRD, weshalb ich die Lektüre auch unbedingt empfehle.

    Es ist also aus unserer Sicht die Diskrepanz zwischen „Wunschdenken“ (wohin wünsch sich die Berufsgruppe/wollen sich Sanitäter:innen vielleicht entwickeln – „Cherry Picking“ zum reinen Paramedic / Physician Assistant / Fisu / ECMO Specialist etc.) und „Realität“ (wo liegt der echte Bedarf – bei alten, einsamen, isolierten, chronisch kranken, die sonst keiner will und die sich vielfach selbst nicht helfen können).
    Nun wird von vielen Seiten argumentiert, was hat uns das anzugehen, wir sollen nicht das Gesundheitssystem retten, wir brauchen nur einen funktionierenden Rettungsdienst und fertig & die Patienten sollen uns endlich wieder mit „echten“ Notfällen anrufen, bzw. man könne das alles mit 1450 und Belassungschecklisten lösen.
    Diese Sichtweise greift zu kurz und dass der Rettungsdienst an seiner Belastungsgrenze agiert zeigen Rechnungshofberichte, zeigt die Fluktuation unter Mitarbeitern, zeigen die nicht nachvollziehbaren Fahrtensteigerungen von Jahr zu Jahr, die grösse der Fuhrparks, die in keinerlei Relation zum tatsächlichen Bedarf – international vergleichbaren Bedarf – stehen. Wir sind aktuell definitiv Transportdienstleister.

    Uns ist es deshalb so wichtig darzulegen, dass es notwendigerweise eine Veränderung der Ausbildung braucht, damit auch ein Systemwechsel passieren kann. In einer Ausbildung klarerweise diskutiert werden, inwiefern es Spezialisierungen zum GNFS, Notfallmedizinischen Paramedic etc. braucht. Aber essentiell ist aus unserer Sicht der Grundstein und hier müssen sich alle Stakeholder bewegen.

    LG

    1. Avatar von anaestheasy

      Hallo Flo, danke dass du dir die Zeit genommen hast die Sicht des BVRD noch einmal klarzustellen. Es zeigt ganz klar vor welchen Herausforderungen wir stehen und wie mannigfaltig sie sind. Ich wünsche euch mit euren Bemühungen alles Gute diesbezüglich.

      1. Avatar von Florian

        Ich freue mich über Deine Rückmeldung und dass wir dank eines Kollegen auf Deinen Beitrag aufmerksam geworden sind. Lasst uns gerne weiterhin im Gespräch bleiben oder ins Gespräch kommen.
        Erst im Diskurs, den wir als BVRD seit 2019 führen hat sich unsere Position entwickelt. Gerne auch mal auf http://www.bvrd.at/timeline-sang vorbeischauen.

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