Etomidat

Etomidat ist ein Hypnotikum, das an GABA-Rezeptoren agonistisch wirkt. Es weist keine schmerzstillenden Eigenschaften auf. Die Wirkdauer beträgt ~ 5 Minuten. Seine primäre Anwendung findet es bei der Narkoseeinleitung von kritisch kranken Patienten (0,2-0,6 mg/kg i.v.), da der Blutdruck stabil bleibt (Vasokonstriktion durch Wirkung an α2B, Link) und der myocardiale O2-Verbrauch nicht erhöht wird. Dies sind grundsätzlich sehr vorteilhafte Merkmale (Link). Dennoch findet Etomidat in der Anästhesie und Intensivmedizin keine routinemäßige Anwendung, da es reichlich Kontroversen bezüglich etwaiger – zurzeit noch nicht eindeutig belegter – negativer Effekte auf die Mortalität von kritisch kranken Patienten (seinem eigentlichen Einsatzgebiet) gibt (Link, Link). Diese sind durch Eingriff in die Cortisolsynthese bedingt, wodurch die Blutspiegel des dringend benötigten Stresshormons reduziert werden. Das ist insbesondere nach Dauerinfusion von Etomidat relevant, weshalb heutzutage lediglich eine Einzelgabe üblich ist. Fun Fact: eine Arbeit aus 1983 listet die rectale Gabe von Etomidat (6,5 mg/kg) als Option bei unkooperativen Kindern – bitte heutzutage nicht mehr ernst nehmen 😉

Indikationen

Ich persönlich wende Etomidat primär zur elektiven Narkoseeinleitung von schwer kranken Patienten an, die eine (relative) Kontraindikation für Esketamin besitzen (z.B. signifikante KHK, schwere Vitien oder schwere Herzinsuffizienz), siehe z.B. Link oder Link. Eine weitere „Einleitungsgruppe“ sind sehr alte Patienten (> 75J), die sich einer OP mit einer Dauer von maximal einer Stunde (z.B. Gamma-Nagel in Vollnarkose) unterziehen – bei diesen Patientengruppen habe ich die Erfahrung gemacht, dass eine Esketamin-Einleitung im Aufwachraum ein prolongiertes Koma bedingt, was natürlich die Rekonvaleszenz verlängert. Auch Midazolam ist hierbei keine geeignete Alternative, da es bei Patienten > 65J mit Delir assoziiert ist (CAVE: in Frage gestellt durch rezente Arbeit) und paradoxe Reaktionen bis hin zum ebenfalls prolongierte Koma folgen können. Vorteilhaft ist auch eine effektive Senkung von Hirndruck und CMRO2, wodurch es grundsätzlich auch bei cerebralen Pathologien zur Einleitung eingesetzt werden kann (siehe z.B. SHT)

Nebenwirkungen

Wichtige Nebenwirkungen sind exzitatorische Effekte (Myoklonus, Dystonien, Trismus) und (in hohen Dosen) Atemdepression. Die exzitatorischen Effekte können eine effektive Beutel-Masken-Beatmung verhindern bzw zu Dislokation von EKG-Elektroden oder intravasalen Zugängen führen. Dies ist natürlich äußerst unangenehm. Ich unterdrücke diese Phänomene durch vorherige Gabe eines Opioids wie Fentanyl (0,1-0,2 mg), Sufentanil (10-20 mcg) oder Alfentanil (0,5-1 mg) und niedrigdosiertes Propofol (30 mg) oder Esketamin (25 mg). Auch Midazolam (1-2 mg) ist eine Option. Als weitere wichtige NW seien epileptische Anfälle genannt, weshalb Etomidat u.a. bei Elektrokrampftherapie durch Triggerung epileptogener Herde seine Anwendung findet.

Fazit

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Etomidat grundsätzlich ein kreislaufstabiles Hypnotikum ist, was bei Risikopatienten sicherlich von Vorteil ist. Die unklare, noch nicht eindeutig belegte negative Wirkung auf die Mortalität hat dazu geführt, dass Etomidat europaweit derzeit keine Routineanwendung in der Anästhesie und Intensivmedizin erfährt (in den USA / Ö aber nachwievor beliebt). Die Polytrauma-Leitlinie (Link) wie auch die Leitlinie zur prähospitalen Notfallnarkose (Link) empfehlen den Vorzug von Esketamin. Im Gegensatz dazu steht die rezente RSI-Leitlinie (Link) der Society of Critical Care Medicine, die Etomidat weiterhin als ebenbürtige Option ohne relevanten Einfluss auf die Mortalität listet. Insgesamt ist eine individuelle Entscheidung bei der Einleitung kritisch kranker Patienten zu postulieren und Etomidat per se nicht automatisch „schlecht“ (Link). Denke beispielhaft an einen Patienten mit Sepsis, der eine HF von 130/min aufweist (SIRS, Hypovolämie, keine Zeit für „resuscitate before you intubate“) und in Narkose gesetzt werden muss (z.B. chirurgisch-operative Herdkontrolle) – in diesem Setting ist eine Einleitung mit Esketamin deletär, da die hyperdyname Komponente zu einem Kreislaufzusammenbruch durch extreme cardiale Belastung führen würde. Hier ist Etomidat das ideale Hypnotikum. Es geht also nicht so sehr um „gute“ oder „schlechte“ Eigenschaften von Substanzen, sondern darum, das richtige Medikament für den Patienten auszuwählen. Denke auch an andere Alternativen wie Midazolam oder Remimazolam.


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