In Zeiten einer weltweiten Opioid-Pandemie stellt sich die anästhesiologische Gemeinschaft immer mehr die Frage, ob unser Fachgebiet diesbezüglich angepasst werden muss. Namentlich geht es um die Opioid-freie Anästhesie (OFA), welche ich hier kurz und bündig vorstellen möchte.
Idee
Wie der Name schon sagt ist die Grundlage der Idee ein Verzicht auf Opioide. Dies ist u.a. durch Suchtgefahr wie auch das Nebenwirkungsprofil (Sedierung, Atemdepression, Übelkeit, Obstipation) zu erklären. Das ist grundsätzlich nichts Neues, werden doch schon viele Operationen in reiner Regional- oder neuroaxialer Anästhesie ohne Anwendung von Opioiden durchgeführt. Mutig ist das Konzept insofern, als dass OFA eine echte Alternative zu Opioidnarkosen in der Anästhesie werden soll.
Dies soll durch die Kombination verschiedener Analgetika erreicht werden (multimodale Analgesie -> derzeit Standard, inkludiert aber Opioide). Beispielhafte Präparate (durch Anklicken kommt ihr auf unsere Beiträge zu den Substanzen) sind:
- Esketamin
- Dexmedetomidin oder Clonidin
- Parecoxib
- Diclofenac
- Paracetamol
- Metamizol
- Lidocain
- Magnesium
- Regional- oder neuroaxiale Anästhesie, z.B. AxPlex
Die Hypnose wird mittels Propofol bzw. Sevofluran unterstützt.
Problemstellungen und Datenlage
Ganz grundsätzlich muss man sagen, dass Opioide wie Fentanyl oder Morphin zu den unentbehrlichen Arzneimitteln gemäß WHO gehören. Die Idee, in der klinischen Anästhesie darauf verzichten zu wollen, ist zunächst als gewagt zu bezeichnen, da sie die stärksten verfügbaren Analgetika darstellen und ein Ersatz per se nicht so einfach erscheint. Zweifelsohne hat eine Nicht-Anwendung neben dem Verzicht auf die unerwünschten Nebenwirkungen v.a. bei Risikopatienten (morbide Adipositas, Opioidanamnese, OPs in besonders gefährlichen Regionen wie HNO oder Schilddrüse) den Vorteil, dass Opioidüberhänge (und somit auch Atemdepression) vermieden werden können.
Doch wie sieht die Datenlage aus?
Eine Metaanalyse aus dem Jahr 2023 (Link) kam zum Schluss, dass es eigentlich gar nicht so viele klinisch relevante Unterschiede zwischen OFA und Opioidnarkosen gab. So wurden bei OFA durchaus Opioide post-OP als Rescuetherapie verabreicht, die Menge entsprach aber jener wie nach Opioidnarkosen. Die subjektive Lebensqualität empfand die OFA-Gruppe als besser, die PONV-Raten waren ebenfalls niedriger. Bradycardie (50%) trat in der OFA-Gruppe häufiger auf, vermutlich bedingt durch Dexmedetomidin, wobei DEX teilweise dtl. über der empfohlenen Dosis lag. Insgesamt wird OFA als gleichwertig bewertet, auch wenn die Datenlage noch sehr vage ist.
Das rezente SOFA-Trial (Link) war eine randomisierte doppelblinde Studie, die OFA vs. Opioidnarkose verglich. Auch hier konnte kein klinisch relevanter Unterschied nachgewiesen werden. Nach 3 Monaten gab es auch keinen statistisch signifikanten Unterschied in der Inzidenz von chron. Schmerzsyndromen. Auffällig war eine erhöhte Inzidenz an Hypertonie in der OFA-Gruppe, vermutlich dem Esketamin geschuldet (kreislaufstimulierend).
Fazit
Diese Übersichtsarbeit (Link) kommt zu dem Schluss, dass OFA noch in den „Kinderschuhen“ steckt und viele Fragen noch ungeklärt sind, v.a. die Langzeitauswirkungen, Interaktionen der verschiedenen Medikamente und Effekte auf chron. Schmerzsyndrome. Schon jetzt ist bekannt, dass post-OP Schmerzen ineffektiv behandelt sind. Diese Arbeit beziffert die Prävalenz moderater bis schwerer post-OP Schmerzen bei Entlassung aus dem Spital mit 30-60%!
Zusammengefasst kann für OFA noch keine klare Empfehlung ausgesprochen werden, auch wenn die Idee dahinter nachvollziehbar erscheint. In den kommenden Jahren ist sicherlich mit einer Zunahme der Datenlage zu rechnen und wer weiß, vielleicht haben wir dann eine endgültige Antwort?
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