Erneut möchte ich euch von einem NEF-Einsatz berichten. Nachgefordert wurde ich von Rettungssanitätern, die bei einem Patienten mit stärkster Lumbago bei vorbekanntem Bandscheibenleiden standen. Der Patient hatte aufgrund unerträglicher Schmerzen den RD gerufen. Für die RS war zügig klar, dass ein Transport ohne Analgesie nicht möglich wäre.
Szenerie
Bei meinem Eintreffen präsentierte sich ein soweit gesunder Patient (bek. Bandscheibenleiden lumbal, aHT) mittleren Alters im GCS 15 und Schonhaltung des re. Beines (Hüftbeugung, Knieflexion, Innenrotation). Die Vitalwerte waren stabil, es gab keine Neuroausfälle (Reithose, Harn- / Stuhlabgang, …). Akute Lebensgefahr bestand auch keine. Die Schmerzintensität wurde als 8/10 angegeben, schon kleinste Manöver bedingten ein Aufschreien des Patienten. Das Problem war, dass wir im 1. Stock im Schlafzimmer standen und eine äußerst enge und verwinkelte Stiege hinunter mussten, um den Patienten auf die Trage und dann in den KTW zu verbringen. Ihr kennt das alle. Unser Plan war, dass wir dies mittels Vakuummatratze machen würden.
Jetzt wird es haglich. Grundsätzlich schwirrten mir zwei Optionen zur Bergung im Kopf herum. Entweder eine reine Analgesie mittels Fentanyl oder eine Analgosedierung (~ Kurznarkose) mittels Esketamin. Bei Fentanyl droht neben Übelkeit und Erbrechen mit potentieller Aspiration ein Atemstillstand, während bei Esketamin neben einem ebenfalls möglichen Atemstillstand das Laryngospasmusrisiko (Link) erhöht ist. Das sind Zustände, die einen Patienten ernsthaft schädigen können. Prinzipiell bin ich mit Fentanyl und Esketamin sehr vertraut, da ich sie täglich im OP anwende, sei es in analgetischer, analgosedierender oder narkotischer Dosis. Diese nun sicher unter diesen widrigen Bedingungen anzuwenden ist eine wahre Kunst und erfordert langjährigen eigenverantwortlichen innerklinischen Umgang mit den Substanzen. Beide Möglichkeiten waren grundsätzlich als äußerst riskant zu bewerten, da ein Hinuntertransportieren aufgrund der erheblichen Enge der Stiege nur ohne Monitoring und ohne O2 möglich wäre, da kaum Platz bestand und Stolperfallen für das Personal unbedingt zu vermeiden waren. Für einen Zeitraum von ca. 1 Minute wäre der Patient also ohne engmaschige klinische Überwachung. Zusätzlich wollte er vom Transport nach unten nichts mitbekommen, weil er so Angst vor Schmerzen hatte. Ihr seht: wir haben es hier mit einer sehr komplexen und brandgefährlichen Situation zu tun. Was eine Analgosedierung ist bzw. welche Voraussetzungen / Qualifikationen zur sicheren Durchführung dieser laut Fachgesellschaften notwendig sind könnt ihr dem Beitrag über Analgosedierung übernehmen (Link). Die innerklinisch hohen Standards für das durchführende Personal sind gerade auch für die vulnerablen und widrigen präklinischen Bedingungen zu fordern.
Vorgehen
Mein NFS legte einen i.v. Zugang an und ich verabreichte zunächst eine Basisanalgesie mit Diclofenac 75 mg i.v. und Metamizol 2 g i.v., während wir mit dem Patienten das Vorgehen besprachen und alles herrichteten. Vorsichtshalber erhielt er noch 4 mg Ondansetron. Er war seit gestern Abend nüchtern, Narkosezwischenfälle gab es noch nie, auch keine Airwayprobleme. Wir legten also eine O2-Maske mit 15l/min an, um ihn zu präoxygenieren. Unser Plan war, ihm die niedrigst notwendige Dosis Esketamin zu verabreichen, damit er dissoziiert und von uns nach unten transportiert werden kann. Aus meiner Erfahrung schätzte ich 25 mg ab. Die Eigenatmung wäre darunter mit hoher Wahrscheinlichkeit erhalten geblieben – aber wissen kann man es nie. Ich briefte die Gattin und das Team, dass das Hinuntertragen sicherlich unangenehm werden würde, da diese Schmerzen mit einer analgosedierenden Dosis von Esketamin nicht unterdrückbar wären – das Entscheidende wäre aber, dass sich der Patient nicht an den Transport nach unten erinnern würde. Das wurde dem Patienten auch so übermittelt und er war damit einverstanden.
Nachdem alle Vorbereitungen abgeschlossen waren injizierte ich langsam Esketamin 25 mg i.v., worunter der Patient nach ca. 1 Minute dissoziierte. Auf Midazolam verzichtete ich, da 1) das Setting vollkommen ruhig war und 2) die Kombination mit Midazolam die respiratorischen Komplikationen erhöht. Das Umbetten auf die Vakuummatratze vertrug der Patient gut und wir saugten sie ab. Danach entfernten wir O2 und Monitoring und begannen mit dem Hinuntertragen über die enge und verwinkelte Stiege. Vor einer Deoxygenierung machte ich mir grundsätzlich keine Sorgen, da er von uns ausgiebig präoxygeniert worden war. Erwartungsgemäß war das Hinabtragen sichtlich unangenehm für den Patienten, da ein erschütterungsarmer Transport durch die Steilheit der Stiege nicht umsetzbar war. Nach Lagerung auf der Trage verbrachten wir ihn ins Auto, wo er erwachte. Seine erste Frage war, wo seine Frau sei und dass er überrascht ist, dass er gerade im Rettungswagen sei – er habe nichts davon mitbekommen. Unser Plan konnte also erfolgreich umgesetzt werden. Da der Patient bereits wieder GCS 15 hatte und voll orientiert war übergab ich ihn an die KTW-Mannschaft zum Abtransport ins Spital. Die RS meinten später am Stützpunkt, dass der Transport schmerz- und komplikationsarm durchgeführt werden konnte. Deshalb ist eine multimodale Analgesie mit langwirksamen Substanzen so wichtig!
Fazit
Analgosedierungen sind sehr riskante Verfahren, die nur durch langjährige innerklinische Erfahrung auch unter den widrigen präklinischen Bedingungen sicher umgesetzt werden können. Wir müssen verantwortungsvoll mit unseren Patienten umgehen, denn sie legen ihr Leben in unsere Hände und erwarten, dass wir auf sie aufpassen. Ich möchte mir gar nicht ausmalen was passiert wäre, wenn es zu Erbrechen, Atemstillstand oder Laryngospasmus gekommen wäre. Alles Komplikationen, die durchaus auftreten hätten können, auch unter höchsten Vorsichtsmaßnahmen. Das Verfolgen eines Plans, genaue Absprachen mit dem Team und dem Patienten sowie der sorgsame Umgang mit Analgosedativa sind entscheidende Komponenten einer erfolgreichen Patientenbergung.
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