Lactat

Heute geht es um den nächsten Mythos – die sog. Lactatacidose. Das ist etwas, das es gar nicht gibt. Biochemisch möchte ich mich hier auf das absolute Minimum beschränken. Eine großartige Aufarbeitung findet ihr hier.

Leider werden seit Jahrzehnten von Experten und auch in Lehrbüchern zwei grundlegende biochemische Aspekte verwechselt: Milchsäure und Lactat. Sieht man sich folgende Abbildung an, so wird ersichtlich, dass sie nicht dasselbe sind. Lactat ist das Anion (Base) der Milchsäure, das heißt Milchsäure gibt ihr Proton ab (daher Säure) und es entsteht Lactat. Lactat ist also gar nicht in der Lage, ein Proton abzugeben und so eine Acidose zu erzeugen.

Aber was ist Lactat dann? Grundsätzlich kann eine Zelle auf zwei Wegen lebensnotwendiges Adenosintriphosphat (Energiequelle) generieren: aerob (O2 muss verfügbar sein) und anaerob (bei zellulärer Hypoxie; Endprodukt: ATP und Lactat). Somit ist Lactat ein Stoffwechselendprodukt der anaeroben Glycolyse (das heißt aus Glucose wird ATP generiert).

Formen der Hyperlactatämie

Typ A beruht auf einem tatsächlichen zellulären O2-Mangel bzw. der Unmöglichkeit den Sauerstoff in der Atmungskette (sog. oxidative Phosphorylierung in den Mitochondrien) zu verwerten (zB Intoxikation mit Blausäure oder PRIS, welche beide die Atmungskette blockieren). Auch im Rahmen einer Sepsis können Toxine die Atmungskette blockieren und so die Lactatspiegel erhöhen, da der Körper „gezwungen“ ist, die anaerobe Glycolyse zur ATP-Generierung durchzuführen.

Typ B beruht auf erhöhter Generierung von Lactat (zB Ankurblung des zellulären Stoffwechsels durch Beta-Mimetika, siehe prolongierte Inhalation von Salbutamol bei aeCOPD) oder reduzierter Lactat-Clearance (zB Leberversagen). In Stressphasen wird die anaerobe Glycolyse ebenfalls bevorzugt, da ATP wesentlich schneller generiert wird als auf dem aeroben Wege (der parallel abläuft).

Lactat ist gut

Was bedeutet das alles jetzt? Zunächst muss man zwei Punkte verstehen: Milchsäure ist nicht Lactat und Milchsäure existiert auch in keinem Lebewesen, denn sie dissoziiert (wenn wir sie zB mit dem Essen zuführen) stets. Vom Körper selbst wird Milchsäure auch nicht produziert.

Biochemisch ist zunächst zu verstehen, dass NAD+ ein intrazellulärer Elektronentransporter ist und diese Elektronen als NADH (durch Annahme von einem Proton und zwei Elektronen wird NAD+ zu NADH reduziert) an die Atmungskette (Link, Link) übergibt. Dadurch wird der Ablauf der Atmungskette überhaupt erst ermöglicht.

Und Lactat? Im Rahmen der Glycolyse entstehen 4 Protonen und zur Kompensation von 2 Protonen wird 2x NAD+ zu 2x NADH reduziert, die übergebliebenen 2 Protonen werden entweder in die funktionierende Atmungskette eingeschleust oder durch Umwandlung von 2 Pyruvat zu 2 Lactat verbraucht. Es gilt: 2 Pyruvat + 2 NADH + 2 H(+) → 2 Lactat + 2 NAD(+).

Moment mal. Wo kommen dann freie Protonen her die eine Acidose verursachen können? Ganz einfach. Wird ATP zu ADP hydrolysiert, entstehen freie Protonen, welche in der Folge dann in die Atmungskette eingeschleust werden. Es gilt: ATP + H2O → ADP + H(+) + Pi (anorganisches Phosphat). Ist die Einschleusung der Protonen in die Atmungskette nicht möglich (z.B. weil sie blockiert ist), kommt es zur Akkumulation und Acidose (Link). Parallel läuft natürlich die anaerobe Glycolyse mit Generierung von Lactat ab (was Protonen verbraucht, s.o.!). Das bedeutet der Lactatanstieg ist Begleitphänomen einer Acidose, nicht die URSACHE, und dient in gewissem Ausmaß der Pufferung der Acidose!

Veranschaulicht wird dies in diesem Bild (Quelle):

Lactat ist ein Warnsignal

Mit einer Hyperlactatämie (> 2 mmol/l) zeigen uns die Zellen meist also an, das irgendetwas nicht stimmt, beispielsweise die zelluläre O2-Versorgung oder -Nutzung. Die Anhäufung von Lactat garantiert das vorübergehende Überleben der Zelle, da es ATP generiert, als Energiesubstrat dient (ua Gluconeogenese) und nach Behebung der Ursache wieder zu Pyruvat umgewandelt werden kann (und dieses kann wiederum in die erneut funktionierende Atmungskette zur ATP-Generierung eingeschleust werden). Eine Lactatacidose existiert nicht und eine Umbenennung in Acidose mit Hyperlactatämie scheint ratsam, um weitere Verwirrungen zu unterbinden.


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