Think Outside The Box

Ich möchte euch von einem meiner rezenten Notarzteinsätze berichten. Es erfolgte die Nachforderung durch Rettungssanitäter (KTW), die zufällig bei einem Verkehrsunfall (Fahrrad vs. Auto) als Ersthelfer vorbeikamen. Der Grund waren sehr starke Schmerzen, die ein Verbringen des Patienten in den KTW unmöglich machten.

Szenerie auf der Straße

Bei meinem Eintreffen war ersichtlich, dass ein Fahrradfahrer in die Seitentür eines Autos gekracht ist. Die Tür war leicht eingedellt, der Helm vollkommen intakt, der zugedeckte Patient wach und ansprechbar, jedoch extrem vor Schmerzen jammernd. Er lag in Linksseitenlage (so wurde er vorgefunden), während ein RS MILS durchführte. Ein Pulsoxy war angebracht, welches kältebedingt eine falsch niedrige Sättigung anzeigte. Insgesamt imponierte der Patient im schnellen orientierenden Traumacheck nicht kritisch; auffällig waren ein SHT °1 mit retrograder Amnesie und Verwirrtheit (GCS 14) sowie sehr starke Schmerzen im Bereich der Lendenwirbelsäule.

Wie üblich wollte man zügig alles für einen IV-Zugang vorbereiten, um eine Analgesie durchzuführen. Kältebedingt und bei zugrunde liegender Adipositas hatte der Patient jedoch keine eindeutig identifizierbaren Venen, weshalb ich meinen NEF-Sanitäter unterbrach und ihn bat, mir eine intranasale Analgesie herzurichten. Gerade in kälteexponierter Umgebung und bei schlechtem Venenstatus macht es bei einem Traumapatienten keinen Sinn, auf der Straße eine Akupunktur durchzuführen. Nach Aufklärung und Präoxygenierung mittels O2 10 l/min verabreichte ich Fentanyl 100 mcg i.n. und Esketamin 50 mg i.n., während die Sanitäter eine Halskrause und die Schaufeltrage herrichteten, um den Patienten auf die Trage mit Vakuummatratze und bereitliegendem Beckengurt (für den Fall der Fälle) zu verbringen. Nach achsengerechter Lagerung auf den Rücken unter MILS konnten wir den Patienten schmerzarm in den KTW einladen, wo die Halskrause abgenommen wurde (MILS weiter).

Szenerie im KTW

Ein erneutes Reassessment zeigte keine Aggravierung des Patientenzustandes, auch die Vitalwerte waren völlig stabil, weshalb ich den Beckengurt gemäß S3-Polytrauma Leitlinie nicht schloss. Arbeitsdiagnosen: SHT °1 mit retrograder Amnesie und LWS-Trauma ohne Neuro. Ein EFAST meinerseits war vollkommen bland, weshalb für mich klar war, dass der Patient auf eine normale Unfallambulanz ohne Schockraum verbracht wird.

Bei wie bereits erwähntem schlechten Venenstatus entschied ich mich zur problemlosen ultraschallgezielten Anlage eines weißen Venflons in die linke Ellenbeuge, sodass ich nun eine effektivere Analgesie durchführen konnte. Diese leitete ich mittels Fentanyl 0,1 mg i.v., Metamizol 2 g i.v. und Diclofenac 75 mg i.v. ein. Prophylaktisches Ondansetron 4 mg i.v. bekam der Patient ebenfalls. Auf Tranexamsäure verzichtete ich bei fehlender Indikation, ebenso auf Esketamin i.v., um die Vigilanz des Patienten (der wichtigste Parameter bei SHT!) nicht unnötig zu beeinträchtigen. Ein differenzierter analgetischer Ansatz ist von immenser Bedeutung. Für den Transport saugten wir die Vakuummatratze ab und führten mit dieser auch eine Spinal Motion Restriction im gesamten WS-Bereich durch. Den Oberkörper lagerten wir auf 30°, so wie es sich für ein SHT gehört (mehr dazu hier).

Fazit

Insgesamt verlief der Transport komplikationslos, die Schmerzen konnten durch die multimodale Analgesie und repetitive Fentanyl-Gaben deutlich gelindert werden. Eine Diagnostik zeigte lediglich eine Gehirnerschütterung sowie Prellung im LWS-Bereich.

Merke:

  • die intranasale Analgesie ist auch beim Erwachsenen eine Option und nicht nur bei Kindern (Link)
  • der Ultraschall erleichtert präklinisch das Arbeiten erheblich (Gefäßpunktionen, Untersuchungen), erfordert aber fundiertes innerklinisches Training (Spoiler: ein 8h Sonokurs ist nicht ausreichend)
  • EFAST kann genutzt werden um ein Schockraumaviso bei unklaren Patienten zu treffen oder vermeiden
  • vermeide Esketamin bei Patienten mit SHT °1 oder °2, um die Vigilanz des Patienten nicht unnötig zu beeinträchtigen
  • eine multimodale Analgesie ist auch präklinisch wichtig (Link)

Think outside the box!

Einen weiteren spannenden Traumafall findet ihr hier: Link.


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