Heute geht es wieder um ein Thema, da könnte man wahrscheinlich 20 Seiten schreiben. Ich werde mein Bestes geben, um mich möglichst kurz und prägnant zu halten und euch das Wichtigste zu dem Catecholamin Noradrenalin (Nor) zu erzählen. Vasopressin findet ihr am Ende des Beitrags.
Stellenwert
Es handelt sich um den bedeutendsten Vasopressor der Intensivmedizin, der auch intraoperativ sehr häufig eingesetzt wird, wenn eine kontinuierliche Blutdruckunterstützung benötigt wird. Seine Wirkung entfaltet er durch Bindung an adrenerge Rezeptoren, wobei primär α-Wirkungen (Vasokonstriktion) überwiegen. Die β-Effekte (Herzstimulation) stehen im Hintergrund. Somit hat Noradrenalin eine bedeutende Rolle bei vasoplegen Zuständen wie z.B. Sepsis, protrahierter anaphylaktischer Schock, Polytrauma oder Reanimation. Die Wirkdauer beträgt wenige Minuten, daher wird es regelhaft über einen Perfusor verabreicht.
Applikation
Wie erfolgt die Verdünnung bzw. Gabe von Noradrenalin? Zunächst muss man festhalten, dass jedes Krankenhaus seine eigenen Vorgaben hat und die Anwendung dieses sehr potenten Vasopressors sehr vorsichtig erfolgen muss, da es zügig zu Blutdruckkrisen (hier drohen v.a. Linksherzversagen bzw. Hirnblutungen) kommen kann. Bei uns ist folgendes Schema etabliert: 2 mg Noradrenalin/50 ml NaCl (peripher möglich) und 5 mg Noradrenalin/50 ml NaCl (nur zentral), bei sehr hoch laufenden Dosen (va > 1 mcg/kg/min) ist auch die Mischung 10 mg Noradrenalin/50 ml NaCl nur zentral erlaubt. Der übliche Dosisbereich von Noradrenalin ist bis 0,25 mcg/kg/min i.v., ab Bedarf von > 0,25 mcg/kg/min muss man sich jedenfalls auf Suche nach Ursachen bzw. Optimierungspotential begeben, da z.B. bei einer Sepsis ab dieser Dosierung Vasopressin und Hydrocortison indiziert sind (Catecholamin-refraktärer Schock). Das Einschleichen von Noradrenalin hat vorsichtig zu erfolgen.
Nebenwirkungen
Nebenwirkungen von Noradrenalin sind adrenerger Natur:
- Mikro- und Makrozirkulationsstörungen (z.B. Ischämie des Gastrointestinaltraktes)
- hypertensiver Notfall mit Gefäßruptur (z.B. Gehirn) und Blutungen
- Reflexbradycardie (Stimulation des Barorezeptorreflexes)
- Pectangina bis hin zu Myocardinfarkt und Arrhythmien
- Linksherzversagen
- kalte Peripherie, Blässe
- Oligurie
Der Mythos ZVK
Lange Zeit war es üblich, bei Noradrenalin-pflichtigen Patienten automatisch einen zentralvenösen Katheter (ZVK) anzulegen. Von dieser Praxis ist man mittlerweile abgekommen, da die Nebenwirkungen der Maßnahme (z.B. Pneumothorax, arterielle Lage, Infektion etc) die Risiken einer konstanten, niedrigdosierten Noradrenalin-Gabe bei weitem überwiegen. Befürchtet wurde unter anderem, dass eine Noradrenalin-Gabe über einen peripheren Zugang unsicher ist, da sich der Venenzugang leicht dislozieren könnte und das extravasale Catecholamin dann eine lokale Vasokonstriktion mit Ischämie verursachen würde. Pauschal lässt sich das nicht behaupten, da mehrere Arbeiten (Link, Link, Link, Link, Link) die Sicherheit belegt haben, wenn Noradrenalin über einen gut sitzenden Venflon verabreicht und engmaschig überwacht wird (z.B. intraoperativ, Intensivstation). Diese Arbeit listet Empfehlungen zur peripheren Gabe von Noradrenalin auf. Ab welchem Dosisbereich die Indikation „wir brauchen einen ZVK, da das Noradrenalin schon so hoch läuft“ besteht, ist eine Einzelfallentscheidung und kann nicht allgemein beantwortet werden. Ich persönlich hänge peripher Noradrenalin in einer Konzentration von maximal 2 mg/50 ml an und setze die Grenze zur Anlage eines ZVKs ab spätestens prolongiert 0,25 mcg/kg/min (Link) bzw. wenn die Dosis einen zügig und deutlich steigenden Trend aufweist.
Invasive Blutdruckmessung
Weiters ist empfohlen, bei kontinuierlicher Gabe eine invasive arterielle Blutdruckmessung (IBP) zu etablieren. Hierzu muss ich aber ergänzen, dass ich nicht jedem Patienten, dem ich kontinuierlich Noradrenalin verabreiche, automatisch eine Arterie setze. Man denke beispielsweise an einen gesunden Patienten, der sich einer Schulteroperation in Sitzposition (Beach Chair) unterzieht. Hierbei besteht die Gefahr einer cerebralen Minderperfusion mit postoperativen neurologischen Defiziten (Link) aufgrund relativer Hypotonie (Versackung von Blut durch Schwerkraft, aggraviert durch Narkosemedikamente). Diesen Patienten verabreiche ich daher routinemäßig peripheres Noradrenalin (außer ich musste einen ZVK anlegen, z.B. schlechter Venenstatus und keine peripheren Venen im Ultraschall) ohne IBP. Das Intervall der nicht invasiven Blutdruckmessung stelle ich auf 3 Minuten. Bei stetig höher werdenden Dosierungen oder extremer Sensibilität auf Noradrenalin etabliere ich jedenfalls eine Arterie. Auch bei einer Notfallnarkose bzw. Einleitung von Risikopatienten hat Noradrenalin seinen Platz, entweder eingeschlichen unter IBP oder aber als Push-Dose-Pressor (Link). Dies ist als Nor-Blitz bekannt (Noradrenalin 1 mg/100 ml NaCl, davon 10-20 mcg i.v.). Ebenso führen wir es auf dem NEF mit, sodass wir es im Notarztdienst prähospital anwenden können (siehe hier).
Fazit
Zusammenfassend ist Noradrenalin eines der wichtigsten Medikamente in der Anästhesie und Intensivmedizin. Wiewohl die Anlage von ZVK und Arterie empfohlen ist, muss dies bei niedrigdosierten und insbesondere kurzdauernden Noradrenalin-Gaben kritisch hinterfragt werden. Bei steigernder Dosierung wird es häufig durch Vasopressin ergänzt.
Exkurs: Vasopressin
Vasopressin ist ein Medikament, welches ich auf der Intensivstation bei therapierefraktärem vasodilatatorischem Schock sehr häufig anordne. Besser bekannt ist es als antidiuretisches Hormon (ADH), das endogen im Neurohypothalamus gebildet wird. Es vermittelt über V1-Rezeptoren eine Vasokonstriktion und kann so zu einer deutlichen hämodynamischen Stabilisierung führen. Ob es seine Wirkung wie oft angegeben auch bei Acidose bewahrt wird durch eine rezente Studie in Frage gestellt. Verfügbar sind weiters drei synthetische Analoga mit unterschiedlichen Indikationen:
- Argipressin (→ therapierefraktärer vasodilatatorischer Schock)
- Terlipressin (→ Vasokonstriktion im Splanchnicusgebiet bei Ösophagusvarizenblutung)
- Desmopressin (→ ADH-Ersatz bei Diabetes insipidus centralis, → Förderung Aggregation bei Plättchendysfunktion z.B. bei Leber- oder Niereninsuffizienz bzw. Antiplättchentherapie).
Bei Sepsis wird die Etablierung von Vasopressin ab einer Noradrenalin-Dosis von 0,25-0,5 mcg/kg/min i.v. empfohlen. Es spielt auch bei Anaphylaxie eine relevante Rolle. Üblich ist eine fixe Dosierung von 0,01-0,04 U/min intravenös. Das Ziel ist eine relativ zügige Stabilisierung der Hämodynamik mit konsekutiver Reduktion der Noradrenalin-Zufuhr. Vasopressin ist (mit Vorsicht) auch bei akutem Rechtsherzversagen bzw bei pulmonaler Hypertoniekrise indiziert, da es im klinisch üblichen Dosisbereich die Lungengefäße dilatiert und die Perfusion des rechten Ventrikels durch Erhöhung des systemischen Gefäßwiderstandes verbessert (Link, Link). Bei Patienten unter ACE-Hemmer oder Sartan-Therapie kann eine refraktäre (intraoperative) Hypotonie ebenfalls durch Vasopressin behandelt werden (Link, Link).
Ich trage immer eine „Dienstampulle“ Vasopressin bei mir.
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