Ein äußerst interessanter Casus wurde mir von einem sehr guten Freund aus seinem Notarztdienst zugespielt. Wir beide sind begeisterte Anhänger von Smith’s ECG Blog und des OMI-NOMI-Credos. Weitere interessante Fälle aus der Praxis mit verzögerter Infarktdiagnostik und PCI findet ihr hier, hier, hier, hier
Der Fall: > 80 jähriger Herr, bek. KHK (stp 2x elektives Stenting, Gefäße unklar) mit RSB, aHT, HypLip. Seit dem Vortag Rückenschmerzen und klassische AP-Symptomatik während körperlicher Belastung, nun am Folgetag auch in Ruhe. Cardiorespiratorisch stabil. Hier das EKG des Patienten vor Ort:

Beurteilung: Sinusrhythmus, HF ca 75/min, überdrehter Linkstyp, kompletter RSB mit beginnender Hebung in V1-V4 sowie aVR und III, LAH. Bei einem RSB ist eine ST-Streckensenkung die Norm, eine isoelektrische oder gar angedeutete ST-Hebung ist jedenfalls pathologisch! Wichtig: die STEMI-Kriterien sind hier NICHT erfüllt. In unserem Beitrag über OMI-NOMI könnt ihr nachlesen, wieso die Klassifikation STEMI-NSTEMI Patienten gefährdet.
Korrekterweise wurde vom Notarzt die Diagnose akuter Myocardinfarkt gestellt und es erfolgte eine Kontaktaufnahme mit dem Herzkatheterlabor zur akuten PCI – die einzig richtige Maßnahme die dieser Patient jetzt benötigen würde. Der Kardiologe jedoch war nicht überzeugt, dass ein akut interventionsbedürftiger Infarkt vorläge und schlug daher die Kombination Heparin i.v. und Verbringung ad Notfallambulanz vor. ASS war nicht gewünscht. Entsprechend wurde der Patient ins Spital verbracht.
Hier das EKG der Notfallambulanz:

Das EKG zeigt eine zarte Regredienz der ischämischen Veränderungen im Vergleich zum notärztlichen EKG. In V2 ist die T-Welle positiv und nicht mehr negativ, die beginnenden ST-Hebungen sind zu isoelektrischen Veränderungen konvertiert. Selbiges betrifft die Hebung in aVR (nun isoelektrisch). In Zusammenschau der Befunde und Therapie ist hier von einer Reperfusion auszugehen, vmtl. bedingt durch das verabreichte Heparin.
Das erste Troponin lag bei 30 pg/ml (Norm: < 15 pg/ml), eine Kontrolle 1h später zeigte einen Wert von 41 pg/ml. Die nächste Kontrolle erfolgte dann 4h später (90 pg/ml). 4h später zeigte die Messung 110 pg/ml. Unter der Verdachtsdiagnose NSTEMI wurde der Patient auf die IMCU übernommen, um dort überwacht zu werden und eine etwaige PCI zu planen. Zusätzlich wurde bei Verdacht auf Aortendissektion ein CT durchgeführt, welches dies nicht nachwies.
Am nächsten Tag erfolgte eine PCI, die dann nebst Stenosen in LAD-Diagonalästen einen kompletten Verschluss der LAD im mittleren Stromgebiet zeigte. Der Verschluss wurde mittels DES versorgt. Wie kommen nun der vergleichsweise niedrige Troponinanstieg sowie die MCI-Veränderungen im EKG zustande? Es ist anzunehmen, dass der LAD-Verschluss chronisch bestand und das dadurch unversorgte Gebiet mit der Zeit durch eine Kollateralversorgung suffizient perfundiert wurde. Im Akutereignis scheint es zu Plaquerupturen in diesen stenosierten Kollateralgefäßen gekommen zu sein, wodurch Ischämien iS eines akuten Myocardinfarktes auftraten (siehe Notarzt-EKG), welche dann vermutlich auf die Heparin-Gabe reversiert wurden, sodass das EKG in der Notaufnahme bereits Reperfusionszeichen zeigte und der Infarkt vergleichsweise gering ausfiel.
Alles gut und richtig, oder?
Leider nein. Das Glück des Patienten war die erfolgte Reperfusion, sodass die Ischämiezeit relativ kurz war. Dies zeigte sich auch in einem Herzecho, welches eine normale Links- und Rechtsventrikelfunktion sowie keine anhaltenden Wandbewegungsstörungen zeigte. Doch man beachte – wir fixieren uns viel zu sehr auf Troponin. Die Klinik sowie auch serielle EKGs sind sehr viel wichtiger, um die Entscheidung zur Akut-PCI zu treffen. In diesem Fall ist es zum Glück gut ausgegangen; der Patient erhielt zwar seine PCI, aber mit > 48h Zeitverzögerung.
Das Credo STEMI = Sofort-PCI, NSTEMI = Nicht-Sofort-PCI ist veraltet und gefährdet unsere Patienten!
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