Heute möchte ich euch zwei Fälle aus dem Notarztdienst (Link) vorstellen, bei denen die Klinik entscheidend für mein Handeln war.
Fall 1
Es erfolgte die Nachforderung durch den RTW bei EKG mit zahlreichen ST-Senkungen. Vorbekannt seien aHT, DM2 und Adipositas. Die ca. 70 jährige Patientin habe seit dem Vortag ein diffuses Brennen in der Brust verspürt und war daher heute zum Hausarzt gegangen, welcher dann folgendes EKG ableiten konnte.

Grundsätzlich kennt man dieses EKG-Bild als Hauptstammmuster, d.h. die linke Coronararterie ist verschlossen bzw. hochgradig obstruhiert (Link). Es ist jedoch zu berücksichtigen, dass das nur die halbe Wahrheit ist, denn viele Patienten haben keinen Verschluss (weil dann wären sie im cardiogenen Schock oder tot!), sondern z.B. eine schwere 3-Gefäßerkrankung (3VD) oder andere Ursache (wie Anämie), welche zu einer generalisierten Ischämie des Herzens führt. Ein blindes Hineinschütten von blutverdünnenden Medikamenten kann Patienten ernsthaft schädigen, v.a. wenn z.B. eine okkulte gastrointestinale Blutung mit Anämie und nachfolgender Unterversorgung des Herzens im Raum steht und man ebendiese Blutung durch ASS, Heparin und ADP-Blocker verstärkt.
Da die Patientin cardiorespiratorisch stabil war und lediglich das diffuse Brennen angab war für mich klar, dass hier sicherlich kein Hauptstammverschluss vorlag. Ich tippte auf eine schwere 3VD und verabreichte eine entsprechende Antiinfarkttherapie. Zusätzlich klebten wird Defipaddels und machten uns umgehend auf den Weg Richtung PCI, wo in der Angio eine schwere 3VD (pLAD, pRCX, pRCA) diagnostiziert wurde. Das erste Troponin ergab 5600 ng/ml! Bereits am Folgetag erfolgte aufgrund des katastrophalen Befundes die Verlegung auf die Herzchirurgie, wo eine Akut-CABG-OP (3x Bypass) durchgeführt wurde. Die Patientin konnte nach kurzem Intensivaufenthalt das Spital in gutem Zustand verlassen.
Merke:
- die Klinik ist (neben der EKG-Beurteilung) von entscheidender Bedeutung
- das „Hauptstammbild“ wird von den STEMI-Kriterien nicht erfasst, ist aber ein OMI-Zeichen (Link)
- eine blutverdünnende Therapie inkl. PCI sind bei obiger Anamnese und EKG-Bildgebung indiziert
- rasches, effektives und zielgerichtetes Handeln rettet Leben
Fall 2
Diesmal geht es um einen ca. 70-jährigen Patienten ohne Vorerkrankungen oder Medikamente, welcher seit mehreren Tagen immer wieder Pectangina unter Belastung verspürt hat. Deshalb stellte er sich heute beim Hausarzt vor, welches folgendes EKG unter Beschwerdefreiheit ableitete.

Der Rettungsdienst wurde vom HA mit der Diagnose STEMI nachgefordert (Spoiler: es ist kein STEMI). Die Vitalwerte waren vollkommen stabil, der RR auf beiden Seiten ident. Ich klärte den Sohn und den Patienten auf, dass eine lebensgefährliche Situation vorlag, die jederzeit in einen Infarkt münden konnte. Das ursprüngliche Wellens-Syndrom ist ein Reperfusionszeichen nach (kurzfristigem) Verschluss der LAD, man weiß mittlerweile aber, dass es auch in anderen Ableitungen auftreten kann. Ich verabreichte auch hier eine Antiinfarkttherapie und fuhr mit geklebten Defipaddels Richtung PCI. Dort wurden eine hochgradige prox. LAD-Stenose (versorgt per Stent) sowie mittelgradige Stenose der RCA (konservativ) festgestellt. Das Troponin lag bei 1000 ng/ml, vmtl. durch von den Vortagen infarziertes Myocard. Der Patient wurde nach medikamentöser Einstellung nach wenigen Tagen entlassen.
Merke:
- das Wellens-Syndrom wird von den STEMI-Kriterien nicht erfasst, ist aber Hinweis auf einen (bevorstehenden) OMI
- entscheidend zur Diagnosestellung ist das typische EKG (Typ A oder B) mit Beschwerdefreiheit bei Aufzeichnung
- das Troponin ist in nur 10% der Fälle erhöht, weshalb die Gefahr der Fehlleitung und Unterschätzung besteht
- unbehandelt droht ein massiver Infarkt in den nächsten Tagen bis Wochen
Hit hard and early!
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