Komplikationen des Früh- und Neugeborenen

Im heutigen Beitrag stelle ich euch relevante Krankheitsbilder vor, die primär Frühgeborene (≤ 37. SSW), mitunter aber auch reife Neugeborene betreffen. Sowohl prä- als auch innerklinisch sind Berührungspunkte möglich; daher ist eine kurze überblicksmäßige Darstellung von bedeutender Relevanz. Unser Fokus liegt auf der initialen Versorgung des Neugeborenen. Ein Aviso an einer Abteilung für Neonatologie ist zwingend, wenn wir mit Frühgeburten oder Geburtskomplikationen konfrontiert sind. Die WHO definiert Frühgeborene als extrem frühgeboren (< SSW 28), sehr frühgeboren (SSW 28-31) und moderat bis spät frühgeboren (SSW 32-37). Je unreifer das Kind desto größer das Potential für unten genannte Komplikationen. Ab SSW 24 gilt ein Kind prinzipiell als überlebensfähig.

Den fetalen Kreislauf findest du hier verständlich erklärt. Hier findest du das McRoberts-Manöver bei Schwangeren. Anästhesie bei Sectio ist hier. Eine Erweiterung und Aktualisierung der Themengebiete wird regelhaft stattfinden. Bitte berücksichtigt, dass es sich um einen groben Überblick ohne Anspruch auf Vollständigkeit handelt.

Retinopathie (ROP)

Intrauterin ist die Netzhaut (Retina) des Kindes malperfundiert. Mit Eintritt der Geburt stimuliert die physiologische Hypoxämie eine retinale Angioneogenese. Eine unmittelbar postpartale hochdosierte O2-Gabe an das Früh- und Neugeborene kann diesen Mechanismus hemmen, Gefäßmissbildungen fördern und zu ernsthaften Augenschäden führen (Link, Link, Link). Dies ist einer der Gründe, wieso die unmittelbare Geburtsversorgung bei Neugeborenen zunächst mittels Raumluft (FiO2 21%) erfolgt – eine hochdosierte O2-Gabe (FiO2 100%) ist frühestens mit Beginn einer Präoxygenierung zur Notfallnarkose bzw. Herzdruckmassage bei verschlechterndem Neonaten indiziert. ROP kann u.a. mittels Antikörpern, Laser oder Augenchirurgie behandelt werden.

Merke: das Neugeborene erreicht erst nach ca. 10 Minuten physiologischerweise einen SpO2-Wert von 90%!

Apnoe

Im Akkord dazu hat eine unmittelbar postpartal hochdosierte O2-Gabe einen hemmenden Effekt auf das Atemzentrum, da sich das Gehirn eigentlich auf die neue (hypoxische) Umgebung und Ventilation mittels Etablierung eines eigenständigen Atemmusters einstellen soll (Link, Link). Insbesondere Frühgeborene neigen aufgrund der Unreife zu zentraler Apnoe und brauchen einen stetigen Atemantrieb. Erschwerend hinzu kommt die noch nicht suffizient ausgebildete und funktionierende Laryngopharyngealmuskulatur, welche eine Obstruktion bedingen kann. Eine profunde Hypoxämie bedingt zügig eine Bradycardie bis hin zur Reanimationspflichtigkeit. Die Therapie erfolgt durch uns primär mittels taktiler Stimulation, CPAP und Theophyllin zur Stimulation des Atemzentrums (häufig noch auf Notarztmitteln vorrätig; nur bei Frühgeborenen; innerklinische Alternative: Coffein).

Respiratory Distress Syndrome (RDS)

Surfactant ist von großer Bedeutung für eine adäquate Lungen- und Alveolarfunktion. Ohne Surfactant kommt es zu Alveolarkollaps, da der Oberflächenspannung der Pneumocyten nicht mehr Stand gehalten werden kann. Surfactant ist erst ab SSW 35 in ausreichendem Maße vorhanden, sodass Frühgeborene besonders gefährdet sind. Frühgeborene sind daher mit einem Risiko für ein RDS konfrontiert. Bei antizipierter und durchzuführender Frühgeburt (primär bei maternalen Indikationen wie Präeklampsie, HELLP, …) erfolgt die i.m. Gabe von Steroiden (Betamethason, Dexamethason) an die Mutter, um die Lungenreife zu beschleunigen (Link). Weitere Therapiemaßnahmen sind u.a. vorsichtige O2-Supplementation, Gabe von Surfactant, Vermeidung einer Intubation (VILI, s.u.) und – sofern es der maternale Zustand erlaubt (z.B. frühzeitige Wehen) und das Kind noch nicht geboren wurde – die Hinauszögerung des Geburtsvorganges mittels Tocolytika.

Eine Komplikation des RDS und auch allgemein künstlicher Beatmung des unreifen Neonaten (VILI, beatmungsinduzierter Lungenschaden) ist die bronchopulmonale Dysplasie, die zu deutlich eingeschränkter Lungenfunktion führt (Link). Es kommt simpel gesagt zu einer Arretierung der Lungenentwicklung. Gekennzeichnet ist das Syndrom durch stetigen O2-Bedarf und kann durch Adaptationsmechanismen ultimativ zu pulmonaler Hypertonie, Cor Pulmonale und rezidivierenden Infekten führen. Die Therapie ist lediglich supportiv und fokussiert sich auf Vermeidung weiterer Lungenschäden sowie Förderung der Lungenentwicklung (Nutrition). Überlebende Kinder bleiben Zeit ihres Lebens pulmonal eingeschränkt.

Meconiumaspirationssyndrom (MAS)

Meconium ist ein steriles Gemisch aus Zellabfall, Haaren und Intestinalsekreten des Neugeborenen. Es stellt ein exzellentes Nährmedium für Bakterien dar, weshalb insbesondere eine pulmonale Aspiration im Rahmen des Geburtsvorgangs gefürchtet ist. Ursächlich ist eine kindliche Hypoxämie, die einen Meconiumabgang aus dem Darm bedingt. Dies ist ein Begleitbefund bei ca. 15% aller Geburten (primär reife und späte Neugeborene). Man würde denken, dass ein unmittelbares Absaugen indiziert ist – dies ist jedoch nicht der Fall, da das Einführen von Kathetern einen potenten Vagusreiz auslöst und eine Verzögerung der O2-Zufuhr mittels Beatmung das Outcome des Kindes verschlechtert. Ein Absaugen mittels starrem Katheter ist nur nach frustranen Beatmungen aufgrund verlegter Trachea indiziert (Link). Dann ist auch eine Intubation indiziert, u.U. bei refraktärer Hypoxämie oder Aspiration sehr großer Mengen Meconium dann auch mit Bronchoskopie, Lavage und Surfactantverteilung. Eine besondere Komplikation ist MAS, welches ca. 10% der Kinder, die in Meconium geboren wurden, betrifft. Es handelt sich im Kern um eine inflammatorische Reaktion innerhalb der Lunge samt Deaktivierung von Surfactant. Milde, aber auch schwere Verläufe sind möglich. Besonders bei schweren Verläufen drohen refraktäre Hypoxämie, Rechtsherzbelastung und Tod. Die Therapie ist supportiv (O2, maschinelle Beatmungsunterstützung, Surfactant – je nach Schwere) und kann gar in der Anlage einer ECMO münden (Link, Link).

Intraventrikuläre Hämorrhagie (IVH)

Im Rahmen des Geburtsvorganges (aber auch bei Misshandlung oder Trauma) kann die Kompression des unreifen Kindsschädels zum Zerreißen intracerebraler Gefäße führen. Insbesondere sehr Frühgeborene sind davon betroffen, da die Gefäßstruktur noch nicht ausgebildet ist. Neben Hirndruckkrisen, Hirnschäden und Hydrocephalus droht auch der Tod durch Einklemmung. Symptome sind u.a. Atemstörungen, Fluktuationen der Herzfrequenz, Schlaffheit, Krampfanfälle, Pupillendifferenz oder Ausbuchtung der Fontanellen. Die Diagnose erfolgt sonographisch. Die Therapie (Link, Link) ist lediglich supportiv (Flachlage, keine Physiotherapie, Blutdruckkontrolle), selten ist neurochirurgisch einzugreifen (z.B. Lumbaldrainage).

Wiedereröffnung des Ductus Arteriosus

Dem Beitrag über den fetalen Kreislauf könnt ihr die Funktion des DA entnehmen. Normalerweise kommt es mit Geburt zu einer Flussumkehr (voll ausgeprägt nach 12-24h), d.h. der intrauterine Re-Li-Shunt wird zu einem Li-Re-Shunt mit idF Parallelablauf des pulmonalen und systemischen Kreislaufs wie bei uns Erwachsenen. Ursächlich sind beim funktionellen Verschluss des DA der Prostaglandinmangel durch Abkappen der Placenta und Exposition des Kindes ggü. Sauerstoff, was zu Kontraktion der Myocyten des DA führt. Problematisch ist die Wiederöffnung des DA, da hierbei ein Rückfluss von der Aorta Descendens in den Truncus Pulmonalis (Lungenkreislauf) mit Rückstau und Rechtsherzversagen generiert werden kann. Eine Minderperfusion der Bauchorgane ist die Folge (nekrotisierende Enterocolitis, AKI). Für uns klinisch relevante Risikofaktoren für ein (Wieder)Eröffnen des DA sind u.a. Hypoxämie, Hyperkapnie, Acidose, Hypovolämie und Hypothermie. All diese Faktoren sind daher zwingend zu vermeiden bzw. unverzüglich zu behandeln. Erkennbar ist ein wiedereröffneter DA an einer Diskrepanz zwischen präduktaler (re. Hand) und postduktaler (Fuß) Sättigung sowie einem klinisch schlechten Kind (Link). Spezielle komplexe Sonderfälle, auf die ich hier nicht eingehe, sind Ductus-abhängige Herzerkrankungen sowie ein persistenter DA. Hier hoffen wir, dass wir niemals damit konfrontiert sein werden, da wir außer bei unmittelbarer Verfügbarkeit von Spezialisten (Kinderherzchirurg, Kinderkardiologe, Kinderherzanästhesist) so gut wie keine Chance haben dem Kind zu helfen.

Cheers.


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