Als ich das erste Mal den fetalen Kreislauf im Studium gelernt habe habe ich ihm nicht allzu viel Beachtung geschenkt. Es erschien alles relativ komplex und so lernte ich ihn nur in groben Zügen. Doch muss ich mittlerweile ehrlicherweise sagen, dass mir die anästhesiologischen Lehrbücher den Aufbau und das System sehr schmackhaft gemacht haben. Endlich ergibt alles eine Logik!
Das Verstehen des fetalen Kreislaufs ist für Anästhesisten aus mehreren Gründen von entscheidender Bedeutung: 1) Betreuung der Schwangeren und Neugeborenen beim geburtshilflichen Notfall, sei es innerklinisch oder als Notarzt 2) Durchführung von Narkosen an Schwangeren bzw. Früh- / Neugeborenen im Rahmen operativer Eingriffe.
Sehen wir uns mal links den fetalen und rechts den neugeborenen Kreislauf an. Wir werden das schematisch und verständlich in Ruhe durchgehen.

(Doppel)Bohreffekt
Da im Fetus die Lunge nicht funktionstüchtig ist findet der Gasaustausch (Aufnahme O2, Abgabe CO2) an der Placentaschranke statt. Zuhilfe kommt dem Kind dabei der sog. Doppelbohreffekt. Der eigentliche Bohr-Effekt ist nach dem dänischen Physiologen Dr. Christian Bohr benannt und besagt, dass die O2-Affinität zu Hämoglobin (Hb) abhängig von pH und CO2-Gehalt ist. Heißt im Klartext: je höher der CO2-Wert, desto mehr steigt die Affinität von Hb zu CO2, um die entstehende respiratorische Acidose zu puffern. Die Konsequenz ist eine Rechtsverschiebung der O2-Bindungskurve, d.h. die Affinität von Hb zu O2 ist reduziert, damit es mehr CO2 aufnehmen kann. An der Placentaschranke spielt sich der Doppelbohreffekt (weil er in Mutter und Kind abläuft) ab: das Kind gibt CO2 an die Mutter ab, was zwei Effekte hat: 1) Alkalose im Kindsblut durch CO2-Mangel (führt zu Linksverschiebung der O2-Bindungskurve, d.h. die Affinität von Hb für O2 steigt, da weniger CO2 zum Binden verfügbar ist) 2) Acidose im maternalen Blut (führt zu Rechtsverschiebung der O2-Bindungskurve, d.h. die Affinität von Hb für O2 sinkt, um das CO2 des Kindes zu puffern). Beide Effekte führen dazu, dass das kindliche Hb ausreichend mit O2 gesättigt wird. Hinzu kommt, dass fetales Hb (HbF) verglichen zum adulten Hb (HbA) eine höhere Affinität zu O2 hat.
O2-reiches Blut
Die Placenta gibt das O2-reiche fetale Blut über die Umbilicalvene ab, welche Richtung Kindsleber zieht und sich dort aufteilt: ein Ast zieht in die Portalvene (50% des Blutes zur Versorgung der Leber), der andere Ast (50% des Blutes) zieht als Ductus Venosus direkt in die Vena Cava Inferior (VCI). Der Weg des oxygenierten Blutes geht nun Richtung rechten Vorhof, wo es mittels der Eustachi-Klappe (benannt nach dem italienischen Arzt Dr. Bartolomeo Eustachi), welche sich am Eingang der VCI befindet, überwiegend Richtung Foramen Ovale geleitet wird (Rechts-Links-Shunt). Moment – sollte das Blut vom rechten Vorhof nicht in den rechten Ventrikel geleitet werden??Jetzt kommt der erste Aha-Moment: es handelt sich ja um oxygeniertes Blut -> dieses ist sehr wichtig für Herz und Hirn, die auch im Fetus eine hohe O2-Extraktionsrate besitzen. Das Foramen Ovale ist eine Öffnung in der Trennwand (Septum) der beiden Vorhöfe und ermöglicht so das Shunting von oxygeniertem Blut aus der VCI in den linken Vorhof, weiter in die linke Herzkammer und dann in die Aorta, Coronarostien und Aortenabgänge. Herz und Hirn sind somit luxusperfundiert. Ein Teil des oxygenierten Blutes fließt natürlich trotzdem weiter in die rechte Herzkammer und nicht über das Foramen Ovale in den linken Vorhof.
O2-armes Blut
Das venöse Blut des Hirns, welches nach Durchströmung des Hirns O2-arm ist, gelangt über die Vena Cava Superior (VCS) Richtung rechten Vorhof. Jetzt wird es spannend – die anatomischen Gegebenheiten im kindlichen Herz bedingen, dass dieses O2-arme Blut Richtung rechte Herzkammer geleitet wird! Es wäre sehr ungünstig würde dieses O2-arme Blut auch über das Foramen Ovale und somit erneut in das linke Herz und weiter zurück ins Hirn gelangen. Der rechte Ventrikel wirft das Blut dann in den Truncus Pulmonalis aus. Da aber die fetale Lunge nicht funktionstüchtig ist, würde es keinen Sinn machen, dass das ausgeworfene Blut die Lungengefäße durchspült. Deshalb sind die Lungengefäße des Fetus maximal vasokonstringiert (hypoxisch-pulmonale Vasokonstriktion!), sodass im Endeffekt nur ca. 10% des Blutes in die Lungenkapillaren gelangen (der minimal notwendige Blutfluss zur Entwicklung der Lunge). Aber wo gehen die restlichen 90% hin? Dafür hat sich die Natur den Ductus Arteriosus einfallen lassen, welcher eine direkte Verbindung vom Truncus Pulmonalis in die A. descendens nach Abgang der A. subclavia sinistra darstellt. Dieses Detail ist wichtig, denn so wird garantiert, dass dieses O2-arme Blut erst nach Abgang der Hirngefäße in die Aorta gespeist wird! Somit wird die untere Körperhälfte primär von O2-armem venösem Blut versorgt und gelangt dann zum Großteil über die beiden Aa. umbilicales (Abgänge der Iliacalarterien) in Richtung Placenta, wo das ganze Spiel mit dem Gasaustausch von vorne beginnt.
Geburt
Was passiert, wenn das Kind geboren wird und das erste Mal Atemzüge nimmt? Die Aufnahme von Luft in die Lunge bedingt eine Entfaltung dieser; da die Alveolen nun mit O2 angereichert werden, wird dem Körper signalisiert, dass eine O2-Aufnahme über die Alveolen möglich ist. Zusätzlich steigt durch den Wegfall der Placenta (welche einen niedrigen Gefäßwiderstand hat, damit möglichst viel kindliches Blut für die O2-Aufnahme dorthin gelangt) der systemische Gefäßwiderstand im Kind massiv, sodass es zu folgenden Konsequenzen kommt:
- Aufhebung hypoxisch-pulmonale Vasokonstriktion durch O2-Anreicherung in Alveolen, d.h. Abnahme des Lungengefäßwiderstands mit Abnahme der Nachlast für den rechten Ventrikel, sodass er deutlich einfacher und mehr Blut in die Lungengefäße auswerfen kann, damit das Blut in den Lungenkapillaren mit O2 angereichert wird
- Verschluss des Ductus Arteriosus durch O2-Anstieg (reflektorische Kontraktion) und Ausfall vasodilatierender Prostaglandine aus Placenta durch Trennung vom Kind, d.h. es shuntet kein Blut aus dem Truncus Pulmonalis in die Aorta, sondern es in Richtung Lungenkapillaren fließt
- mechanischer Verschluss des Foramen Ovale durch Druckanstieg im li. Vorhof aufgrund erhöhten Rückflusses aus den Lungenvenen, welche ja in den linken Vorhof münden
- Fazit: Lungen- und Systemkreislauf sind getrennt
Mutter Natur ist wirklich so spannend!
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